Predigt von Präses Alfred Buß am 20. Mai 2006

Der Herr schafft Recht den Waisen und Witwen und hat die Fremdlinge lieb, dass Er ihnen Speise und Kleider gibt. Darum sollt ihr auch die Fremdlinge lieben. (Dtn 10,18.19)

Liebe Frauenhilfs-Gemeinde, 
vor 31 Jahren bekam ich es ganz überraschend mit der Frauenhilfe zu tun. Mittags kam der Anruf: Der zuständige Pfarrer sei krank und ich müsse ihn gleich vertreten. Ich war ganz neu in der Gemeinde. Hilfe! Was muss ich tun. Die Andacht vorbereiten und ansonsten einfach hingehen, riet man mir.

Nach der Andacht wurde ich angehalten, je ein Stück Torte aller drei Frauen zu essen, die für dieses Treffen gebacken hatten. Hilfe! 
Aber dann war der neue Pfarrer dran: Ich wurde interviewt. Die erste Frage weiß ich bis heute: Was fällt Ihnen bei Frauenhilfe ein?
Frauen, Komma, Hilfe! oder Frauen-Bindestrich-Hilfe? Wie so oft, kommt es wohl auf die Zeichensetzung an. Und es kommt darauf an, wie wir dann den Bindestrich verstehen.

Bald waren wir miteinander in der lebhaftesten Diskussion: Dass Hilfe unter Christenmenschen nichts Herablassendes sein kann; Frauenhilfe ist nicht mildtätiges Wirken von Gutmenschen für die gefallene Welt. Am Haus im Soester Feldmühlenweg sehen wir bis heute den Schriftzug Westfälische Frauenhülfe. Im damals bildungssprachlichen Hülfe klingt der Ton gnädiger Herrschaft an, war es doch die Kaiserin Auguste Victoria höchstselbst, die vor 100 Jahren mit an die Wiege der Frauenhilfe stand.

Aber vor 31 Jahren waren wir uns bald darin einig: Als Christenmenschen sind erst einmal alle gleichermaßen bedürftig: Bedürftig des Evangeliums und bedürftig der Zuwendung Gottes. 
Weil Gott sich in Christus seinen Geschöpfen zugewendet hat und zuwendet, stehen wir in der Gemeinschaft der Glaubenden und helfen und stützen und fördern uns gegenseitig, jede mit ihren Gaben. Es ist unser Reichtum, aufeinander angewiesen zu sein.
Die Zuwendung Gottes zu uns - der Zuwendung bedürftigen Menschen - öffnet uns nun alle Sinne besonders für solche Menschen, die zu kurz kommen.

Die Losung der heutigen Tages sagt das so: 
Der Herr schafft Recht den Waisen und Witwen und hat die Fremdlinge lieb, dass Er ihnen Speise und Kleider gibt.
Darum sollt ihr auch die Fremdlinge lieben. 
Warum diese Zusammenstellung: Waisen und Witwen und Fremdlinge? 
Weil es die waren, die in biblischer Zeit aus allen sozialen Sicherungssystemen herausfielen, die mit ihrer Hände Arbeit den Lebensunterhalt, ja das Dach über dem Kopf nicht bestreiten konnten.

Waisen und Witwen und Fremdlinge konnten ausgenutzt werden und wurden ausgenutzt, ja benutzt, weil sie schwach und andere stark waren. Der Gegensatz zu arm ist darum bis heute nicht reich, sondern stark. Wer aber zum Spielball der Stärkeren wird, der wird buchstäblich herausgerissen aus seinem vertrauten Umfeld: Waisen sind ohne Eltern, Witwen ohne Lebensgefährten, Einkommen und Schutz, Fremde ohne Herkunft und Heimat - im Wortsinne- entwurzelt.

Und nun lese ich im Interview mit der Vorsitzenden der westfälischen Frauenhilfe, Christel Schmidt, in UK: Wir stehen für Kontinuität und Verlässlichkeit, Beweglichkeit und Verwurzelung, Glaubwürdigkeit, Transparenz und Dialogfähigkeit. Sie beschreibt beides: die gefalteten und die tätigen Hände im Dienst für die Verwurzelung von Menschen. Ich nenne nur Stichworte: Integration von Vertriebenen, Versöhnungs- und Friedensarbeit, Gleichberechtigung von Männern und Frauen, Weltgebetstage, Kampagnen gegen Apartheid in Südafrika, gegen Sextourismus, Menschenhandel und Zwangsprostitution, aber auch Suppenküchen, Frauenhaus und vieles mehr.

Der Herr schafft Recht den Waisen und Witwen und hat die Fremdlinge lieb, dass Er ihnen Speise und Kleider gibt. Darum sollt ihr auch die Fremdlinge lieben. Speise und Kleider geben ist ja ein Sinnbild dafür, Menschen zu stärken, ihre Schwäche nicht auszunutzen, sondern ihnen ihre Würde zurückgeben.

Ich gestehe es gerne: Wenn ich in der Gemeinde für einen neuen Gedanken, eine Aktion werben wollte, bin ich zuerst damit in die Frauenhilfe gegangen, ob es um fair gehandelten Kaffee ging, die Sorge um den Weltfrieden Anfang der 80er, die Muslima aus der Türkei und die Frage der Integration, die Sorge um Flüchtlinge oder den Stellenwert der Kinder- und Jugendarbeit in der Gemeinde: in der Frauenhilfe bekam ich eine ehrliche und immer Menschen zugewandte Diskussion.

Und oft waren es gerade die Älteren, die Witwen - mit ihrer Erfahrung von Krieg, Flucht, Vertreibung, mit dem Wissen um den Wert von der Hände Arbeit und gelebter Solidarität -, die Schneisen schlugen für neue Aufbrüche und anderen und mir den Rücken stärkten. Und auch das will ich herausheben: erfahren nicht gerade viele Witwen in Abschied, Trauer und im Fertigwerden-Müssen mit dem Alleinsein in der Frauenhilfe Rückenstärkung, Gemeinschaft und Zugehörigkeit? Das Wort Überalterung sollten wir wegtun, denn hier ist keine einzige über, egal, wie alt sie ist.

Ein Letztes: Der Herr schafft Recht den Waisen und Witwen und hat die Fremdlinge lieb. Gott selber macht sich zum Anwalt derer, die zu kurz kommen. Es geht hier um die Gottesfrage. Gott ist ein Gott der Schwachen - oder er ist kein Gott. Ob wir Menschen speisen, kleiden, stärken und ihnen die Würde zurückgeben, ist nicht nur eine humanitäre Angelegenheit, sondern eine Gottesfrage.

Darum sollt ihr auch die Fremdlinge lieben. Arm, demütig, schwach zu sein gegenüber Starken - das ist unter Menschen der Ausweis von Unrecht. Sich vor Gott zu beugen hingegen ist der Grund für den aufrechten Gang. Ein Christenmensch beugt sich vor keinem Menschen, nur vor Gott - und gerade deshalb für andere Menschen.

So wünsche ich dem westfälischen Verband der Frauenhilfe Gottes Segen; Gottes Segen den gefalteten und den tätigen Händen. 
Amen

Präses Alfred Buß, Evangelische Kirche von Westfalen

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