Pflegende und Demenzkranke verbringen gemeinsamen Urlaub in Bad Driburg

(November 2015)

Pflegende und Demenzkranke verbringen gemeinsamen Urlaub in Bad Driburg (November 2015)

„Wir Angehörige können diese 14 Tage genießen“, kommentieren seit mehr als einem Jahrzehnt Angehörige den gemeinsamen Urlaub mit ihren dementen Partnern im Hotel Erika Stratmann in Bad Driburg.

Harald M. ist keine 60, als er merkt, dass etwas nicht stimmt: Er vergisst Termine und spürt weitere Veränderungen. Seine Frau und er tippen zunächst auf einen Burnout. Es kommt aber schlimmer: Die Diagnose Alzheimer reißt ihn mit 58 aus dem Berufsleben.

Acht Jahre nach diesem Schock ist Harald M. nicht mehr der, der er mal war. Ehefrau Angelika leidet natürlich unter diesen Wesensveränderungen. Und unter der Aussicht, dass die Krankheit fortschreitet und ihr Mann sie eines Tages nicht mehr erkennen wird. Trotzdem steht sie ihm treu zur Seite und würde es nicht über das Herz bringen, ihn in ein Pflegeheim zu geben.

1,6 Millionen Menschen leiden in Deutschland an Demenz bzw. ihrer häufigsten Form, Alzheimer. Mehr als zwei Drittel der Betroffenen werden in der häuslichen Umgebung von Familienangehörigen versorgt und betreut. Für die „mitbetroffenen" Angehörigen bedeutet dies häufig, mit großen Belastungen konfrontiert zu werden. Für viele der Betroffenen und ihre Angehörigen ist es schwierig, mitunter unmöglich, nochmals einen gemeinsamen Urlaub zu verbringen. Häufig scheitert ein solches Unterfangen daran, dass angemessene, demenzspezifische Angebote nur unzureichend zur Verfügung stehen.

In Bad Driburg können Paare wie Familie M. gemeinsam Urlaub verbringen. Die 14 Tage sind keine Individualreise, sondern ein betreuter Urlaub. Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen hat in Zusammenarbeit mit der Alzheimer Gesellschaft im Kreis Soest e.V. dieses Angebot für Demenzkranke und ihre pflegenden Angehörigen vor mehr als zehn Jahren ins Leben gerufen. Zweimal jährlich, im Mai und Oktober, verbringen Paare im 3-Sterne-Hotel Erika Stratmann, das in Trägerschaft des Frauenverbandes ist, erholsame Tage.

Angehörige sollen durchatmen

„Einmal ohne Hektik sein, verweilen können - und das, weil die demenzerkrankten Angehörigen in guter Obhut im Hotel bleiben“ - das verspricht die betreute Urlaubsmaßnahme für Demenzkranke und ihre Angehörigen in Bad Driburg. Dabei sollen vor allem auch die Angehörigen durchatmen können. Das ist möglich, weil erfahrene Fachkräfte morgens und auch am Nachmittag die erkrankten Partner betreuen.

»Wir wissen unsere Männer in guten Händen. Das macht es uns leichter, sie für einige Stunden loszulassen und auch mal an uns zu denken«, spricht Angelika M. auch im Namen ihrer Mitreisenden. Es können Mitreisende sein wie Ingrid S.: Die 76-Jährige ist die Ehefrau von Horst S. (86). Er ist durch mehrere Schlaganfälle dement geworden. »Den letzten bekam er mitten in einer Herzoperation. Er wurde reanimiert«, erzählt seine Frau. Mit Angelika M. teilt sie also das gleiche Schicksal. Beide kümmern sich rund um die Uhr rührend um ihre Männer. Dabei ereilt Ingrid M. oft die Sorge davor, was ist, wenn sie selbst nicht mehr kann. »Ich bin Krebspatientin.« Da schwingt die Angst mit, dass die Krankheit wiederkommt.

Umso wichtiger ist es, dass die 76-Jährige sich Auszeiten gönnt. So wie den Urlaub in Bad Driburg. Annelie König (70) aus Bad Sassendorf begleitet die Freizeiten seit neun Jahren. Sie versichert den Angehörigen immer wieder, dass die Partner fachkundig und auch mit Herz betreut werden. »Wir holen die Erkrankten da ab, wo sie stehen.« Denn jeder Patient und jeder Verlauf ist anders. Das bestätigen Angelika M. und Ingrid S. aus eigener Erfahrung. »Mein Mann läuft die ganze Zeit«, erzählt Angelika M.. Selbst die Mahlzeiten mag er oft nur noch im Stehen einnehmen. Das mache es schwer, zusammen in die Gaststätte zu gehen. Trotzdem hält die 64-Jährige die Erkrankung ihres Mannes nicht geheim. »Ich gehe offen damit um.« Das habe den Vorteil, dass Menschen im Umfeld ein Auge drauf haben, wenn sie Harald M., der durchaus auch wegläuft, auf der Straße sehen.

Die Betreuung der Demenzkranken wird von erfahrenen Fachkräften aus der Altenpflege übernommen und nach neuesten Erkenntnissen aus der Erinnerungsarbeit durchgeführt. Das Betreuungskonzept wurde in Kooperation mit der Alzheimer Gesellschaft im Kreis Soest entwickelt. Die Kosten für die Betreuung übernimmt die Pflegekasse, sofern eine Einstufung erfolgt ist.

Täglich mit den Folgen der Erkrankung konfrontiert

Dass die Kinder ihren Müttern bei der Pflege der Ehepartner helfen, ist allein aus Entfernungsgründen kaum möglich. »Die Hauptlast tragen wir«, konstatieren Ingrid und Angelika. Tagtäglich sind sie mit der Uneinsichtigkeit, der Orientierungslosigkeit und weiteren Folgen der Erkrankung konfrontiert. Sie müssen mit Fingerspitzengefühl reagieren. Denn Druck bringt gar nichts, wenn es etwa darum geht, dass der Ehemann für den Herbstspaziergang eine Jacke braucht. Den Kranken davon und vom Ausziehen der Hausschuhe zu überzeugen, kostet die Angehörigen Zeit und Nerven. Das zehrt. Untereinander und auch bei den Betreuern finden sie in Bad Driburg Verständnis. Annelie König und ihre Mitstreiter starten mit den Pflegenden aber auch Ausflüge. Zerstreuung tut nämlich auch gut - so gut, dass Familie M. und auch Familie S. im Mai wiederkommen wollen.

Zum Hintergrund:

Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. ist Trägerin dreier Altenheime (Hanse-Zentrum und Lina-Oberbäumer-Haus in Soest, Haus Phöbe in Warburg) und übernimmt damit die Verantwortung für mehr als 240 Menschen, die in ihren Einrichtungen ihr letztes Zuhause erhalten. Seit Jahrzehnten ist sie Anbieterin von Pflegeausbildung und Weiterbildung. Weitere Informationen und Angebote der Trägerin im Bereich Pflege finden Sie unter www.propflege.org.

Informationen zum 3-Sterne- und VCH-Hotel Erika Stratmann in Bad Driburg finden Sie unter www.hotel-erika-stratmann.de

Informationen zu den Konzepten der Alten- und Pflegeheime finden Sie unter
www.hanse-zentrum.de,
www.lina-oberbaeumer-haus.de,
www.haus-phoebe.de.

Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. ist ein Mitgliederverband, ein Trägerverein und eine zertifizierte Einrichtung der evangelischen Frauen- und Familienbildung. Als eingetragener Verein verantwortet sie die gemeindebezogene Frauenarbeit in Westfalen in Bindung an die Evangelische Kirche von Westfalen. Zum Mitgliederverband gehören 38 Bezirks-, Stadt- und Synodalverbände, in denen sich fast 45.000 Frauen in fast 1.100 Ortsgruppen zusammengeschlossen haben. Als sozial-diakonische Trägerin verantwortet die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen über 15 Einrichtungen in der Altenpflegeausbildung, Altenhilfe, Behindertenhilfe und Anti-Gewalt-Arbeit.
Einzelheiten erfahren Sie unter www.frauenhilfe-westfalen.de.

 

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