Positive Bilanz nach einem Jahr Prostituierten-Beratungsstelle TAMAR

(Oktober 2015)

Positive Bilanz nach einem Jahr Prostituierten-Beratungsstelle TAMAR (Oktober 2015)

Diplom-Pädagogin Barbara Batzik, Prakikantin Bettina Penner, Sozialarbeiterin Sabine Reeh und Einrichtungsleiterin Pfarrerin Birgit Reiche (v.l.) zogen  nach einem Jahr eine erste Bilanz zu TAMAR, der Prostituierten- und Ausstiegsberatungsstelle in Südwestfalen.

Die Bilanz der Prostituierten-Beratungsstelle TAMAR nach einem Jahr Arbeit ist: „Es hätte nicht besser laufen können!“ TAMAR - Prostituierten- und Ausstiegsberatungsstelle für Frauen und Mädchen in Südwestfalen existiert seit dem 01.10.2014 und ist in dieser Region das einzige, dezentrale Beratungsangebot für Prostituierte. Das Angebot richtet sich an Mädchen und junge Frauen in der Prostitution in der Region Südwestfalen (die kommunalen Kreise Siegen-Wittgenstein, Hochsauerlandkreis, Soest, Märkischer Kreis und Olpe).

Die Pädagogin Barbara Batzik und die Sozialarbeiterin Sabine Reeh sowie TAMAR-Leiterin, Pfarrerin Birgit Reiche ziehen nach einem Jahr Bilanz. Skeptiker fragten vor einem Jahr noch: „Wird so was im ländlichen Raum wie Südwestfalen überhaupt gebraucht?“

Durch aufsuchende Arbeit sich bekannt machen

Im ersten Jahr des Bestehens musste das Projekt in Trägerschaft der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V zunächst in der Region bekannt gemacht und etabliert werden. Nicht nur die Prostituierten, sondern auch Behörden, Frauenberatungsstellen, Gleichstellungsbeauftragte, Ärzte und die Gesellschaft mussten und müssen über die Existenz dieses Beratungsangebotes informiert werden.

„Wir haben bislang knapp 100 Bordellbetriebe in den Kreisen aufgesucht und knapp 450 Prostituierte dort angetroffen“, berichtet Sabine Reeh. „Wir trafen im Kreis Soest mehr als 160 Prostituierten in fast 30 Prostitutionsbetrieben, im Kreis Siegen-Wittgenstein 115 Frauen in fast 30 Betrieben, im Hochsauerlandkreis fast 70 Prostituierten in mehr als 10 Clubs, Bars und ähnlichem, im Märkischen Kreis 25 Frauen in fast 20 Betrieben und im Kreis Olpe fast 15 Frauen in 4 Prostitutionsbetrieben.“

Um auch Beratung in einer vertraulichen Atmosphäre in abgelegenen Ortschaften durchführen zu können, steht den Mitarbeiterinnen von TAMAR ein Beratungsbus zur Verfügung. Mit dem Beratungsbus werden Prostituierte in bordellähnlichen Betrieben und Prostitutionswohnungen in ganz Südwestfalen erreicht.

Begleitung von einzelnen Prostituierten nimmt zu

Mittlerweile nimmt auch die sozialarbeiterische Begleitung von einzelnen Prostituierten zu. „Mittlerweile haben wir 28 Klientinnen intensiv begleitet“, stellt Barbara Batzik fest. „Vier von ihnen haben bislang den Ausstieg erfolgreich geschafft. Sie nehmen an Ausstiegsprogrammen teil, bewohnen zum Teil mit ihren Kindern angemietete Wohnungen, gehen geregelten beruflichen Tätigkeiten nach bzw. beziehen übergangsweise Leistungen des Jobcenters.“

Bei der Beratungsstelle TAMAR besteht auch die Möglichkeit der telefonischen Beratung, die eine nicht unerhebliche Anzahl der Klientinnen in Anspruch nimmt. „Ca. 80% der Klientinnen haben Kinder“, beschreibt Sabine Reeh die ersten Erkenntnisse über die Situation von Prostituierten in Südwestfalen. „Ca. 80% der Frauen, die derzeit in Südwestfalen als Prostituierte arbeiten, kommen aus den neuen EU-Staaten Polen, Bulgarien, Rumänien, den baltischen Staaten und aus Deutschland, nur wenige von außerhalb der EU aus den ehemaligen Sowjetrepubliken, Asien und Afrika.“

Der Fokus von TAMAR liegt daher unter anderem auf Müttern, die der Prostitution nachgehen. Wenn ihre Lebenssituation verbessert werden kann, hat das unmittelbare Auswirkungen auf ihre Kinder. „Die meisten Prostituierten dürfen legal in Deutschland arbeiten. Trotzdem arbeiten viele von ihnen schwarz, zahlen keine Steuern und sind nicht krankenversichert“, stellt Barbara Batzik klar. Um besser mit den Migrantinnen sprechen zu können, sucht die Beratungsstelle Ehrenamtliche, die osteuropäische Sprachen übersetzen können. Sie können mit einer Aufwandsentschädigung rechnen.

Erster Runder Tisch Prostitution in Südwestfalen

„Ich war überrascht, wie positiv das Angebot überall angenommen wurde“, sagt Reeh. „Ich hatte mehr Widerstand, vor allem bei den Bordellbetrieben und den Behörden, erwartet“, ergänzt Batzik. „Der Runde Tisch Prostitution Südwestfalen ist ein Erfolg unserer Vernetzungsarbeit“, verdeutlicht Pfarrerin Birgit Reiche, Leiterin der Beratungsstelle TAMAR. Der erste „Runde Tisch Prostitution in Südwestfalen", an dem alle wichtigen Behörden, Institutionen und Initiativen beteiligt sind, ist von TAMAR initiiert und am 28.10.2015 in Soest durchgeführt worden.

Zum Runden Tisch gehören Vertreterinnen und Vertreter der Jugendämter, der Polizei, der Staatsanwaltschaften, der Ausländerbehörden, der Sozialämter, der Gesundheitsämter, der Jobcenter, der Gleichstellungsstellen, der Träger der sozialen Arbeit in der Region, engagierter Frauengruppen und weiteren Verbände. Die mit der Thematik befassten Behörden und Kommunen werden Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für die Beratungsstelle benennen, damit ein umfassendes Beratungs- und Hilfeangebot für Prostituierte und ihre Kinder in Absprache mit den staatlichen Stellen vereinfacht wird. In ihrem Treffen haben die Anwesenden sich dafür ausgesprochen, in ihren Regionen weitere Runde Tische Prostitution zu initiieren, um die Vernetzung zu intensivieren.

„Wichtig ist, keine Vorurteile zu haben. Dann lernt man viele nette Frauen bei der Beratungsarbeit kennen.“ Das ist die persönliche Bilanz von Praktikantin Bettina Penner, die seit drei Monaten bei der Prostituierten-Beratungsstelle arbeitet.

 

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