Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. fordert große Koalition für eine große Reform des Sexualstrafrechtes

(April 2016)

Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. fordert große Koalition für eine große Reform des Sexualstrafrechtes (April 2016)

Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. spricht sich für eine große Reform des Sexualstrafrechts aus. Sie fordert eine zeitgemäße und menschenrechtskonforme Weiterentwicklung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung, die über den vorliegenden Regierungsentwurf für eine Neufassung der §§ 177, 179 gehen müsse.

Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen hat sie den Offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel und an die Mitglieder des Deutschen Bundestages erstunterzeichnet, der zu einer großen Koalition für eine große Reform des Sexualstrafrechtes aufruft. Initiatorin des Offenen Briefes ist der Deutsche Frauenrat.

Der Wortlaut des Offenen Briefes:

Offener Brief an Bundeskanzlerin Merkel und die Mitglieder des Deutschen Bundestags
Eine große Koalition für eine große Reform des Sexualstrafrechts

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
sehr geehrte Frau Abgeordnete,
sehr geehrter Herr Abgeordneter,
die Zeit ist reif - reif für eine große Reform des Sexualstrafrechts. Wie 1997, als eine große Koalition von Bundestagsabgeordneten nach fast 25-jähriger Debatte in beeindruckender Einigkeit und mit überwältigender Mehrheit für die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe stimmte. Ein historischer Schritt im Kampf gegen sexualisierte Gewalt und für die sexuelle Selbstbestimmung.
Heute, knapp zwanzig Jahre später, steht der Bundestag erneut vor einer solchen Situation. Sie, als Mitglied des Bundestags, können bei der aktuellen Sexualstrafrechtsreform einen ähnlich bedeutsamen Schritt gehen.

Sexualisierte Gewalt ist nach wie vor ein schwerwiegendes gesellschaftliches Problem. Nur die wenigsten stattfindenden Vergewaltigungen werden durch die Betroffenen überhaupt angezeigt. Von den zur Anklage gebrachten Fällen wird nur ein sehr geringer Teil abgeurteilt. Das liegt auch am Strafrecht, das derzeit gravierende Schutzlücken für die Betroffenen enthält. In einer Reihe von aktuellen Analysen und Gutachten sind Fallgruppen aufgezeigt, in denen Frauen klar „Nein“ sagen, der Täter das übergeht und seine sexuellen Übergriffe dennoch straflos bleiben.
Mittlerweile haben verschiedene europäische Länder, zuletzt Österreich, einen anderen rechtlichen Ansatz gewählt. Sie stellen bei der Beurteilung der Strafbarkeit darauf ab, ob die Betroffenen die sexuelle Handlung für den Täter erkennbar ablehnen.
Der vorliegende Regierungsentwurf für eine Neufassung der §§ 177, 179 (Sexuelle Nötigung/ Vergewaltigung und Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen) StGB ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Er schließt einige Schutzlücken. Leider vollzieht er aber keinen grundlegenden Paradigmenwechsel.

Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ist auch weiterhin nicht an sich geschützt. Übergriffe bleiben weiterhin straffrei, auch wenn die von Gewalt betroffene Person ihren entgegenstehenden Willen bekundet und sich der Täter darüber hinweggesetzt hat. Maßgeblich bleibt also das Verhalten der geschädigten Person und nicht des Täters bei der Be- und Verurteilung.
Das widerspricht menschenrechtlichen Vorgaben wie dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention). Danach müssen die Staaten alle sexuellen Handlungen gegen den Willen der Betroffenen unter Strafe stellen. Diese Konvention wurde bislang von der Bundesrepublik Deutschland nicht ratifiziert. Sie kann aus unserer Sicht auch dann nicht ratifiziert werden, wenn der vorliegende Regierungsentwurf Gesetz wird.
Wir rufen Sie zu einer großen Koalition für ein „Nein heißt Nein“ auf.

Wir fordern eine zeitgemäße und menschenrechtskonforme Weiterentwicklung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ist den meisten Betroffenen weiterhin nicht geholfen. Ist das Gesetz einmal beschlossen, wird es absehbar keine große Reform des Vergewaltigungsparagraphen geben. Daher appellieren wir an Sie, sich jetzt im parlamentarischen Verfahren dafür einzusetzen, dass der Paradigmenwechsel konsequent vollzogen wird.

Wir fordern eine weitergehende Debatte unter Begleitung der zivilgesellschaftlichen Organisationen und einen neuen historischen Schritt bei der Bekämpfung sexualisierter Gewalt - wie schon 1997.

 

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