Dokumentation

Einführung von Birgit Reiche in das Amt der Leitenden Pfarrerin der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. | 22.05.2021

Einführung Birgit Reiche

Predigt von Pfarrerin
Birgit Reiche

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit euch allen.
Amen.

Liebe Gemeinde,

vor fast einem Jahr hat mich der Findungsausschuss des Vorstandes der Frauenhilfe eingeladen, einen Vortrag zu halten. In diesem Vortrag sollte es um die Zukunft der Frauenhilfe gehen und die Herausforderungen, die ich in dieser Zukunft sehe. Ich habe mich damals entschieden, den Vortrag unter ein Bibelwort zu stellen, das mich schon lange begleitet. Es steht im 2. Timotheusbrief im 1. Kapitel:
Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

Ob es am Bibelwort lag oder auch an meinen Ideen für die Zukunft der Frauenhilfe, die ich in diesem Vortrag entfalten konnte – der Findungsausschuss und eine Woche später der Vorstand haben mich in das Amt der Leitenden Pfarrerin gewählt und nun bin ich in diesem Gottesdienst in dieses Amt eingeführt worden.
Seit genau drei Wochen übe ich mich nun schon in der neuen Aufgabe und kann Ihnen und Euch sagen: Dieses biblische Wort brauche ich auch als Zusage.

Deshalb fühlt es sich für mich gut und richtig an, dass es auch als Motto über diesem Gottesdienst am Vortag des Pfingstfestes 2021 steht: Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
Worte, die in diesem Pastoralbrief, der wahrscheinlich um das Jahr 100 herum geschrieben worden ist, Paulus in den Mund – oder besser in den Stift gelegt worden sind. Adressiert ist der Brief an Timotheus – bestimmt für die christlichen Gemeinden wahrscheinlich in Kleinasien.

Gestern habe ich diesen Vers nach langer Zeit mal wieder in seinem Zusammenhang gelesen und dachte, dass die Worte auch ein Gefühl beschreiben, das mir in dieser Corona-Zeit sehr bekannt vorkommt. Ich würde es vielleicht nicht mit den gleichen Worten sagen, aber hört selbst:

3 Ich danke Gott, dem ich diene von meinen Vorfahren her mit reinem Gewissen, wenn ich ohne Unterlass deiner gedenke in meinem Gebet, Tag und Nacht.
4 Und wenn ich an deine Tränen denke, verlangt mich, dich zu sehen, damit ich mit Freude erfüllt werde.
5 Denn ich erinnere mich an den ungeheuchelten Glauben in dir, der zuvor schon gewohnt hat in deiner Großmutter Lois und in deiner Mutter Eunike;
ich bin aber gewiss, auch in dir.
6 Aus diesem Grund erinnere ich dich daran, dass du erweckest die Gabe Gottes, die in dir ist durch die Auflegung meiner Hände.
7 Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

Birgit Reiche
Sehnsucht nach den Menschen, die wir lange nicht sehen konnten, können wahrscheinlich alle nachvollziehen. Auch heute hätten wir lieber mit vielen weiteren Menschen hier vor Ort diesen Gottesdienst gefeiert und nachher weiter wie es Sarah Connor so treffend beschreibt:
Ja, dann feiern wir 'ne fette Party
Laden alle unsre Freunde ein
Steh'n extra ganz dicht beieinander
Und stoßen an aufs Zusammensein
Alt und Jung und groß und klein
Keiner mehr zuhaus allein
Weißt du, wovon ich grad am liebsten träum'?
Dass du mich weckst und sagst, "Es ist vorbei!"

Noch stehen wir nicht extra ganz dicht beieinander, sondern halten den nötigen Abstand, auch beim Auflegen der Hände.

Die letzten Monate haben uns gelehrt, Nähe auch auf Distanz zu erleben, Verbundenheit auch am Telefon zu teilen und unsere Glaubensgemeinschaft auch digital fühlen zu können, wie beim diesjährigen Weltgebetstag.

Und Briefe sind wieder geschrieben worden, wie in den jungen Gemeinden – der Glauben der Großmütter und Mütter in den Frauenhilfen ist gestärkt worden durch Andachten, die von den Gruppenleiterinnen verschickt oder von Haus zu Haus getragen worden sind.

Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

Um den Geist, den Gott gibt, geht es am Pfingstfest. In unseren morgigen Gottesdiensten lesen wir die Geschichte der Ausgießung des Heiligen Geistes in der Apostelgeschichte.

Vor der Predigt haben wir das Lied gehört
Schenk uns Weisheit, schenk uns Mut
für die vielen kleinen Schritte.
Gott, bleib du in unsrer Mitte.
Schenk uns Weisheit, schenk uns Mut.
Gottes Geist und Weisheit sind schillernde Begriffe, die in der Bibel beider Testamente häufig ineinander fallen und eng verbunden gedacht werden: In der hebräischen Bibel heißen sie Ruach und Chokmah. Von beiden berichtet die Bibel, dass sie vom Anbeginn der Schöpfung bei Gott waren: Ruach, Gottes Atem, Gottes Wind, „Gottes Geistkraft bewegte sich angesichts der Wasser“ übersetzt Frank Crüsemann im 2. Vers im ersten Kapitel der Bibel.

Und im Buch der Sprüche im 8. Kapitel, aus dem wir eben in der Lesung gehört haben, beschreibt sich die Weisheit als Gottes Erstling: 
22 Die Ewige schuf mich zu Beginn ihrer Wege, als Erstes all ihrer Werke von jeher.
23 Gewoben wurde ich in der Vorzeit; zu Urbeginn, vor dem Anfang der Welt.
24 Bevor es das Urmeer gab, wurde ich geboren. Bevor die Quellen waren, von Wasser schwer.
25 Bevor die Berge verankert wurden, vor den Hügeln wurde ich geboren.
26 Noch hatte sie weder Erde noch Felder erschaffen oder den ersten Staub des Festlands.
27 Als sie den Himmel ausspannte, war ich dabei, als sie den Erdkreis auf dem Urmeer absteckte,
28 als sie die Wolken oben befestigte, als die Quellen des Urmeers kräftig waren,
29 als sie das Meer begrenzte, damit das Wasser ihren Befehl nicht überträte, als sie die Fundamente der Erde einsenkte:
30 Da war ich der Liebling an ihrer Seite. Die Freude war ich Tag für Tag und spielte die ganze Zeit vor ihr.
31 Ich spielte auf ihrer Erde und hatte meine Freude an den Menschen.

Die Weisheit wird im Sprüchebuch personifiziert als Frau vorgestellt, als Frau, die vor aller Zeit - von jeher - von Gott geschaffen, gewebt, geboren wurde.
Können Sie sich Frau Weisheit in ihrer Jugend vorstellen? Eine musische, schöpferische junge Frau, die sprüht vor Lebensfreude.
Für mich ist es eine bestechende Vorstellung: Die Schöpfung der Welt war nicht eine toternste, bis ins letzte mathematisch durchgeplante Aktion, sondern es hat Gott, hat der Ewigen, Spaß gemacht.
Unsere Welt ist unter dem Einfluss der spielerischen Weisheit entstanden.

Birgit Reiche
Aber die Welt ist nicht mehr jung und auch Frau Weisheit wird im Sprüchebuch als reife Frau beschrieben, die durch die Straßen geht und um die Menschen wirbt:
Ich lese noch einmal einige Verse aus Kapitel 8:
1 Ruft nicht die Weisheit? Erhebt nicht die Einsicht ihre Stimme?
2 Auf dem Gipfel des Berges, an der Straße, an der Wegkreuzung ertönt ihr lauter Ruf:
8 Alle Worte aus meinem Mund sind gerecht; nichts an ihnen ist verdreht oder falsch.
9 Eindeutig sind sie für verständige Menschen und aufrichtig für die, die Erkenntnis finden.
12 Ich bin die Weisheit und wohne bei der Klugheit; kluge Pläne entwickle ich und die Angesehenen fällen gerechte Urteile.
17 Ich liebe, die mich lieben; wer nach mir sucht, findet mich sicherlich.
20 Auf dem Weg der Gerechtigkeit gehe ich, mitten auf den Wegen des Rechts
33 Hört auf die Ermahnungen und werdet weise; gebt nicht auf!
35 Denn wer mich findet, hat Leben gefunden und wird von der Ewigen Freude erhalten.

Wie die Prophet_innen fordert auch die Weisheit von den Menschen den Einsatz für Recht und Gerechtigkeit. Gerechte, weise Menschen richten sich nach den Geboten Gottes. „Schenk uns Weisheit, schenk uns Mut…“

Ich habe eben gesagt, dass in der Bibel beider Testamente Weisheit und Gottes Geist häufig ineinander fallen. Im neuen Testament wird diese Vorstellung auch auf Jesus, den Christus übertragen. Christus wird im Prolog des Johannes-Evangeliums mit der weiblichen göttlichen Gestalt der Weisheit identifiziert: „Und die Weisheit wurde Materie und wohnte unter uns und wir sahen ihren Glanz.“

Und auch Paulus sieht den Messias Jesus und die Weisheit ineinander verwoben.
Im 1. Korintherbrief schreibt er im 1. Kapitel:

24 Denen, die von Gott gerufen werden, ob jüdisch oder nichtjüdisch, verkörpert der Messias göttliche Macht und göttliche Weisheit. Und etwas weiter:
28 Und die Geringen und die Verachteten der Welt hat Gott erwählt, die die nichts gelten, um denen, die etwas sind, die Macht zu nehmen.
29 Das geschieht, damit kein Mensch vor Gott überheblich ist.
30 Durch Gott seid ihr mit dem Messias Jesus verbunden, der uns von Gott her zur Weisheit befähigt, und zur Gerechtigkeit und Heiligung und Befreiung.
31 So geschieht, was geschrieben steht: Wer groß sein will, preise die Größe der Ewigen.

Die indische Malerin Lucy D‘Souza hat die Weisheit als das „Weibliche Antlitz Gottes“ gemalt und feministische Theologinnen aus allen Teilen der Welt haben in exegetischen und systematisch-theologischen Arbeiten der Weisheit in den letzten Jahrzehnten eine neue Stimme und Aufmerksamkeit verschafft.

Ich habe die Weisheit in der Vorbereitung auf diese Predigt wiederentdeckt und bin „BEGEISTERT“ - ein wirklich pfingstliches Gefühl.

Nancy Cardoso Pareira, eine methodistische feministische Befreiungstheologin und Pfarrerin aus Brasilien hebt das Gegeneinander von Weisheit und Torheit, wie es uns im Sprüchebuch begegnet, auf und schreibt einen weiblichen Plural neu. Daraus zum Schluss ein Zitat:

„Leidenschaftlich und unruhig, bleiben ihre Körper kaum zu Hause: Mal sind sie auf der Straße, mal auf den Plätzen und spähen nach allen Seiten. Ihr Verlangen bringt die Welt zum Drehen: Sie empfinden Genuss in der bewohnbaren Welt, werden rasend, wenn sie es mit Ungerechtigkeit zu tun haben und sind köstlich zu denen, die schmackhaftes Wissen suchen. Sie schreiben unexegetische Exegesen, Flugblätter die aufrufen, in der Straße zu kämpfen, Rezepte, um das Kind zu heilen, Poesie, um den Geliebten zu verführen... und um glücklich zu sein.
Amen

Und der Frieden Gottes, der höher ist, als all unser Verstehen, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.