Kirchengeschichte kritisch auf ihre judenfeindlichen Seiten befragen (August 1999) 

Der Vorstand der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. hat am 30. August 1999 eine Stellungnahme zur Hauptvorlage der Landessynode der Evangelischen Kirche von Westfalen verabschiedet. 
Die Hauptvorlage 1999 steht unter dem Titel „Gott hat sein Volk nicht verstoßen“ und hat das Anliegen, die eigene Kirchengeschichte kritisch auf ihre judenfeindlichen Seiten hin zu befragen. 

In einer mehrseitigen Stellungnahme der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. wird begrüßt, dass die Schuld der Kirche in ihrer Geschichte bekannt wird. Das der christliche Antijudaismus nicht verschwiegen wird, ist eine notwendige Voraussetzung für den Dialog mit jüdischen Menschen heute. Allerdings werde kein Versuch der Differenzierung und Konkretion unternommen. Dies sei problematisch, da die Hauptvorlage eine Änderung der Kirchenordnung anstrebe, die die Schuld der Evangelischen Kirche von Westfalen gegenüber dem Judentum benennt. 
Die Evangelische Frauenhilfe stellt fest, dass geklärt werden müsse, von wessen Schuld die Rede sei und worin diese Schuld bestehe. Die Schuld müsse konkret benannt werden, um mit der Kritik an der antijüdischen Tradition in der Evangelischen Kirche zugleich die Tradition von Dialog und Akzeptanz zu erinnern und zu stärken. Zu dieser Frage gehöre dann nicht nur der Bereich der Theologie, sondern auch die politische Betätigung der Kirche und ihrer Verbände.

Die Erweiterung der Kirchenordnung, so die Frauenhilfe, um ein Schuldbekenntnis ist zu begrüßen, erfordere aber weitere Klärungen. Ein Bekenntnis der Schuld schließt nicht die Vergangenheit ein für allemal ab, sondern eröffne im besten Fall neue Gesprächs- und Handlungsmöglichkeiten, in dem die, die Schuld bekennen, damit zugleich ihre Verantwortung für die jüdisch-christlichen Dialog anerkennen.
Die Frauenhilfe stellt ebenfalls fest, dass die Vernichtung der jüdischen Rasse in der Kirche keine Unterstützung fand. Antijudaismus war dagegen in der Evangelischen Kirche an der Tagesordnung und durchaus salonfähig. Sie trug damit zumindest dazu bei, dass sich unter evangelischen Christen nur wenig Widerstand gegen die zunehmende Ausgrenzung und Verfolgung der Juden regte und die Akzeptanz eines Rassen-Antisemitismus in der Bevölkerung gefördert wurde. Auch sei heute immer noch wenig bekannt die Mitgliedschaft zahlreicher Pfarrer in Parteien, die sich auch den Antisemitismus auf die Fahnen geschrieben hatten. Aus dieser kirchlichen und politischen Prägung, die von aktiver Unterstützung bis zur einfachen Akzeptanz des Antisemitismus reichte, erkläre sich der mangelnde Widerstand der Bekennenden Kirche gegen die Judenverfolgung.

Die Evangelische Frauenhilfe stellt weiter fest, dass zurecht in der Hauptvorlage gefordert wird, dass die Judenmission abgelehnt werde, jedoch solle dies nicht dazu führen, dass die Geschichte jüdisch-christlicher Menschen in der westfälische Kirche unsichtbar gemacht werde. Neben der Darstellung der Geschichte der Judenfeindschaft in der Kirche dürfe nicht die Geschichte derer vergessen werden, die sich früh im jüdisch-christlichen Dialog engagiert bzw. verfolgte Jüdinnen und Juden geschützt haben.

Die Frauenhilfe weist ebenfalls daraufhin, dass im Zusammenhang mit der Konfliktsituation in Nahen Osten eine einseitige Solidarisierung mit dem jüdischen Volk unangemessen sei, weil im Friedensvertrag von Oslo 1993 die gegenseitige Anerkennung der Konfliktparteien als Voraussetzung für einen gerechten Ausgleich der Interessen beider Völker festgeschrieben wurde. 
Zudem sieht die Frauenhilfe darin einen Mangel in der landeskirchlichen Stellungnahme, dass die konstruktiven Beiträge der feministischen Theologie zur Erforschung der Hebräischen Bibel, der intensive Vermittlungsprozess dieser Beiträge in die gemeindebezogene Frauenarbeit unter Diskurs feministischer Theologie mit jüdischer Theologie weitgehend unberücksichtigt bleiben.

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