Wahlprüfsteine für den Bereich Opfer von Menschenhandel 
Zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2005

Politikerinnen und Politiker im Land NRW sind gefordert, sich für eine verbindliche Absicherung und Weiterentwicklung der allseits als unverzichtbar bezeichneten Leistungen für gewaltbetroffene Frauen und Mädchen einzusetzen. Dies bedeutet kostendeckende und bedarfsgerechte Finanzierungen der Fachberatungsstellen für Opfer von Menschenhandel.

Unsere Forderungen an eine zukünftige Landesregierung sind:

  • Integrationshilfen für Opferzeuginnen.
  • Gewährleistung des größtmöglichen Schutzes für Opferzeuginnen während und nach dem Prozess; gegebenenfalls Erteilung eines dauerhaften Aufenthaltes aus humanitären Gründen.
  • Konsequente Gewinnabschöpfung aus Menschenhandelsverfahren und gezielte Verwendung der Mittel für die Opfer von Menschenhandel und die Arbeit der Beratungsstellen.
  • Konsequente Umsetzung der Erlasse, d.h. keine Unterbringung von Opfern von Menschenhandel in der Abschiebehaft. Die Umsetzung dieses Teiles der Erlasse ist konsequenter in den Blick zu nehmen.
  • Zeugnisverweigerungsrecht für die Beraterinnen in den Fachberatungsstellen.
  • Entkriminalisierung von Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind. Dazu gehört es, dass die Frauen nicht als Täterinnen behandelt werden, weil sie gegen das Ausländergesetz verstoßen haben.
  • Schutz von Kindern und jugendlichen Opfern von Menschenhandel muss Vorrang vor der Ausländergesetzgebung haben, nach der 16-Jährige bereits als Erwachsene gelten und damit nicht mehr einem besonderen Schutz unterliegen.
  • Politikerinnen und Politiker sind aufgefordert, sich für die Rücknahme des Vorbehaltes der Bundesregierung zur Kinderschutzkonvention der Vereinten Nationen einzusetzen.

Die Fachberatungsstellen für Opfer von Menschenhandel verfügen über einen reichen Erfahrungsschatz aus ihrer langjährigen praktischen Tätigkeit. Ein gemeinsames Handeln von Politik und Fachberatungsstellen wäre daher wünschenswert, ebenso wie die Einbeziehung der Fachberatungsstellen in anstehende politische Entscheidungen, die diese speziellen Arbeitsbereiche betreffen.

Zum Hintergrund:
Menschenhandel ist sexualisierte Gewalt an Frauen und ein Straftatbestand im Sinne des Strafgesetzbuches.
Doch Menschenhandel ist weitaus mehr, es ist ein Verbrechen an unschuldigen jungen Frauen und Mädchen. Unkenntnis der Lage in einem fremden Land, der Sprache und die Notwendigkeit eine Familie zu ernähren werden ausgenutzt, um Frauen und jungen Mädchen mit Arbeitsversprechen und Arbeitsangeboten nach Deutschland zu bringen. Dort angekommen, werden sie in Bordelle oder bordellähnliche Einrichtungen verbracht und werden mit physischer und psychischer Gewalt gezwungen, der Prostitution nachzugehen. Anderenfalls drohen die Täter mit Gefängnis, Information der Eltern und Geschwister, Gewalt gegen die Familien in der Heimat, harten Strafen, etc.

Menschenhandel ist ein lukratives Geschäft für die Täter, Gewinne sind vergleichbar mit denen im Waffen- und Drogenhandel, die Strafen fallen weitaus geringer aus. Menschenhandel ist ein Kontrolldelikt und für die Verurteilung der Täter werden Zeuginnen benötigt. Die Opfer von Menschenhandel müssen dazu dem Druck, der von den Tätern ausgeht, der Gewalt und den Drohungen gegen sie selbst und ihre Familien in den Herkunftsländern standhalten.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat diese Entwicklung bereits frühzeitig erkannt und versucht, ihr entgegenzutreten. Seit 1989 gibt es Erlasse des Justiz- und Innenministeriums, die den Schutz und die gesicherte Unterbringung sowie die Begleitung der Opferzeuginnen vor, während und nach dem Prozess regeln.

Spezialisierte Fachberatungsstellen für Opfer von Menschenhandel kamen eigens zu diesem Zweck in die Landesförderung, heute gibt es in NRW acht solcher Beratungsstellen. Die Fachberatungsstellen arbeiteten von Anfang an in enger Absprache mit den ermittelnden Polizei- und Justizbehörden. Vielen Hunderten Frauen und Mädchen konnte in diesen Jahren insgesamt aus ihrer Zwangssituation herausgeholfen werden, wenngleich es nur die Spitze des Eisberges ist. Dank der Aussagen vieler mutiger Zeuginnen konnten Täter bestraft und Menschenhändlerringe zerstört werden.

2002 wurde in Zusammenarbeit aller an der Bekämpfung des Menschenhandels involvierten Behörden, Ministerien, Institutionen und Organisationen eine Handreichung „Verdachtschöpfung und Sachbearbeitung bei Fällen des Menschenhandels“ vom Landeskriminalamt NRW in Zusammenarbeit mit dem Fortbildungsinstitut Neuss und den Fachberatungsstellen für Opfer von Menschenhandel erstellt. Hier werden Standards festgeschrieben, die als beispielhaft in Deutschland gelten.

Um auch weiterhin erfolgreich gegen den Menschenhandel vorzugehen und den Opfern angemessen helfen zu können, gilt es zukünftig diese Standards mindestens zu halten bzw. weiter auszubauen. Dafür ist es zwingend notwendig, entsprechende Rechtsgrundlagen zu schaffen.

Die Wahlprüfsteine sind erarbeitet worden von der Dortmunder Mitternachtsmission e.V., der Beratungsstelle für Opfer von Menschenhandel - Nadeschda in Herford, der Beratungsstelle für Migrantinnen Hagen und von der Beratungs- und Infostelle für Migrantinnen im IZ3W in Herne.

Diese Beratungsstellen sind als Arbeitsgemeinschaft beim Diakonischen Werk Westfalen zusammengeschlossen. Darüber hinaus sind die Beratungsstellen dem Diakonischen Werk Westfalen als zuständigem Spitzenverband angeschlossen.

April 2005

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