Die Gesundheitsreform und die Berücksichtigung der Geschlechtergerechtigkeit (Februar 2007)

Nach monatelangen Kontroversen und zähen Verhandlungen in der großen Koalition wurde die Gesundheitsreform am 16. Februar 2007 endgültig abgestimmt. Bereits am 2. Februar ist das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV - WSG) verabschiedet worden.

Der Deutsche Frauenrat, in dem die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. Mitglied ist, hat sich beharrlich und mit Nachdruck dafür eingesetzt, dass das Gesetz geschlechtergerecht gestaltet wird, wie es die Selbstverpflichtung der Bundesregierung und der Fraktionen im Deutschen Bundestag festschreibt. Denn: Eine Reform, die nicht geschlechtergerecht gestaltet ist, ist keine Reform!

Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V., Sprachrohr für über 1.300 Frauengruppen in den evangelischen Gemeinden mit mehr als 70.000 Mitgliedern sowie Trägerin verschiedener sozial-diakonischer Einrichtungen stellt mit Empörung fest, dass die Gesundheitsreform die eingeforderte Geschlechtergerechtigkeit unberücksichtigt lässt. Nach all den gesundheitspolitischen Debatten muss inzwischen allen Verantwortlichen klar sein, dass sich aus dem Geschlecht, aber auch aus dem Alter und aus unterschiedlichen Lebenslagen sehr spezifische Bedürfnisse und Erfordernisse hinsichtlich der medizinischen Vorsorge und Versorgung ableiten.

Diese Unterschiede verlangen angemessene Antworten und Regelungen. Diese Tatsachen sollten allen mit der Reform befassten Abgeordneten sowie Vertreterinnen und Vertreter von Organisationen, Institutionen, Kammern und anderen Einrichtungen bekannt sein. Dennoch wurde diesen Unterschieden bei der Gestaltung des neuen Gesetzes - wie auch bei anderen Gesetzesvorhaben zuvor - in keiner Weise Rechnung getragen. Das ist empörend und darf sich bei anderen Gesetzesvorhaben, z.B. bei der Reform der Pflege, nicht wiederholen.

Um zu verdeutlichen, was eine Reform, die nicht geschlechtergerecht ist, nicht berücksichtigt, hier drei Beispiele:

Beispiel 1: Unterschiede auf Grund des Geschlechts
Die Erforschung von Krankheiten erfolgte und erfolgt zu großen Teilen an Männern. Eine der inzwischen bekannten Folgen ist, dass die Anzeichen für einen Herzinfarkt bei Frauen oftmals nicht oder zu spät erkannt werden, da sie sich von den Anzeichen bei Männern unterscheiden. Auch Medikamente sowie Therapien wurden bislang kaum oder gar nicht an Frauen erprobt. Das hat u.a. zur Folge, dass durch falsche Dosierung die Heilwirkung ausbleibt und/oder erhöhte bzw. unbekannte Nebenwirkungen auftreten. So ergaben jüngst Studien, dass bisherige AIDS-Medikamente bei Frauen weniger wirksam sind.

Beispiel 2: Unterschiede auf Grund des Alters
Die Erprobung von Medikamenten erfolgte bislang an Männern jungen und mittleren Alters. Auch andere Therapien sind auf dieses Alter abgestimmt. Die Körperreaktionen von Kindern als auch älteren bis alten Menschen unterscheiden sich jedoch von diesen. Die Folge können falsche Dosierungen, ausbleibende Wirkungen sowie verstärkte oder veränderte Nebenwirkungen sein.

Beispiel 3: Unterschiede auf Grund der Lebenslage
Menschen mit geringem oder gar keinem Einkommen können sich Zuzahlungen zu Medikamenten, Therapien oder Heilmitteln oder Gebühren (Praxisgebühren bzw. Selbstbeteiligung bei Klinikaufenthalten) kaum oder gar nicht leisten. Sie nehmen daher entsprechend notwendige Gesundheitsleistungen zum Teil nicht mehr in Anspruch. Menschen mit Behinderung, die auf Assistenz angewiesen sind, wird bei einem Klinikaufenthalt die Kostenübernahme für eine Assistenzperson verweigert. Das Klinikpersonal kann die notwendige Assistenz jedoch nicht leisten.

Praxen sind oftmals gar nicht, Kliniken nicht ausreichend barrierefrei. Menschen werden nach der kürzestmöglichen Verweildauer zur weiteren Genesung aus dem Krankenhaus nach Hause entlassen, unabhängig von den dortigen Lebensumständen. Diese unterscheiden sich in der Regel bei Männern und Frauen, sind doch nach wie vor Frauen in erster Linie für die Versorgung und Pflege von Angehörigen zuständig. Insbesondere für allein stehende, gerade auch ältere Menschen aber auch für allein Erziehende oder Menschen mit Behinderung sowie obdachlose Menschen kann die fehlende Berücksichtigung ihrer Lebenslage zu ernsten gesundheitlichen Folgen führen. Auch belegen Studien, dass Menschen mit geringerem Einkommen häufiger krank sind, einen schlechteren Gesundheitszustand haben und früher sterben.

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