Zur landeskirchlichen Hauptvorlage „Globalisierung gestalten“
(Juli 2008)

Die Evangelische Kirche von Westfalen hat Ende 2007 eine Hauptvorlage zum Thema „Globalisierung gestalten“ herausgegeben, die Herausforderungen und Zielperspektiven zur Gestaltung der Globalisierung benennt und zur Diskussion stellt.

Sie fordert Christinnen und Christen auf, bis 2009 die Vorlage zu ergänzen und zu verändern. Ziel der Landeskirche ist es mit diesem Prozess, zu erkennen, wie der oder die einzelne, die Kirche, die Gesellschaft und der Staat Verantwortung für Recht und Frieden in der einen Welt wahrnehmen können.

Seit vielen Jahren beschäftigt sich die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. im engeren und im weitesten Sinne mit dem Thema „Globalisierung“ - weit bevor es diesen Begriff gab. Sie kommt daher der Bitte der Landeskirche, zur Hauptvorlage Stellung zu nehmen, nach und fasst Anregungen und Anfragen in zwei Rubriken zusammen: zum einen zum Prozess und zum anderen zur Hauptvorlage.

Anregungen und Beiträge zum Prozess „Globalisierung gestalten“

  1. Im Jahre 2008 hat die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen eine Arbeitshilfe für die Gestaltung von Frauengruppen herausgegeben zum Thema „Diakonie und Barmherzigkeit (Frauenhilfe zum Selbermachen 2/08). Diese Arbeitshilfe umfasst Einheiten zur politischen Diakonie und zu exemplarischen Verknüpfungen von Diakonie und Gerechtigkeit.
     
  2. Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen war im Jahre 2008 beteiligt an der Ausstellung „Rosenstraße 76“ zur häuslichen Gewalt und hat im Zusammenhang mit der Ausstellung zahlreiche Veranstaltungen durchgeführt.
     
  3. Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen engagiert sich seit vielen Jahren in Kampagnen und Handlungsfeldern, die im weitesten Sinne Themen der Globalisierung aufgreifen.
    1. Der Weltgebetstag der Frauen, der jeweils am 1. Freitag im März gefeiert wird und in jedem Jahr von Frauen eines anderen Landes vorbereitet wird, nimmt immer die wirtschaftliche Situation von Frauen der Länder, aus denen die Weltgebetstagsordnung kommt, auf. Außerdem werden die ökologischen und ökonomischen Rahmenbedingungen betrachtet.
       
    2. In den Kampagnen „Clean Clothes“ und „Rosenkampagne“ werden die Produktionsbedingungen von Kleidung, Sportartikeln und Blumen, die Arbeits- und Sozialbedingungen der Menschen in den Produktionsbetrieben und die Vertriebswege, Gewinnspannen und Beteiligungen deutscher Firmen thematisiert, Gespräche geführt, Forderungen formuliert und gelegentlich z.B. im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen in China Boykottaufrufe formuliert, die u. a. die Firmen Puma und Adidas betreffen.
       
    3. Aus der Trägerschaft der Beratungsstelle Nadeschda für Opfer für Menschenhandel und Zwangsprostitution in Herford ergeben sich für die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen zahlreiche Arbeitsfelder und Kontakte, die die Verletzung der Menschenwürde von Frauen weltweit ansprechen und den globalisierten Markt mit Frauenhandel ins Bewusstsein zu bringen, indem weltweit mehr Geld umgesetzt und verdient wird als mit Waffen- und Drogenhandel.
      In diesem Jahr wird im September die 4. Internationale Fachtagung mit dem Schwerpunkt „Menschenhandel und HIV“ in Soest stattfinden.
       
    4. Für 2009 plant die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen ihr Jahresthema zum Thema „Armut und Reichtum“. Es wird bei den Jahresthema-Tagungen um eine Definition von Armut gehen; um Kinderarmut; um Geldwirtschaft und „Eine Welt“ am Beispiel von Oikocredit; um Frauengeld / Kleingeld / Gerechtigkeit; um biblische Aspekte von Gerechtigkeit und Geldwirtschaft, z.B. das Zinsverbot des 1. Testamentes. Zum Thema „Armut“ werden im Rahmen des Jahresthemas 34 Tagungen von jeweils vier Tagen stattfinden, an denen ca. 550 Frauen aus dem gesamten Bereich der westfälischen Landeskirche teilnehmen. Das Material wird der Öffentlichkeit nach Durchführung der Jahresthema-Tagungen ab Mai 2009 zum Kauf zur Verfügung stehen.

Anregungen und Anfragen der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. zur landeskirchlichen Hauptvorlage 2007 – 2009 „Globalisierung gestalten“

  1. Es fehlt in der Hauptvorlage eine geschlechtsspezifische bzw. geschlechterdifferenzierende Betrachtung sowohl der theologischen Voraussetzungen als auch der Konsequenzen der Globalisierung.
     
  2. Eine geschlechterdifferenzierende Betrachtung von Menschenwürde z.B. ist notwendig. Betroffene der Globalisierung sind in vielen Teilen der Welt insbesondere Frauen und Kinder, z.B. durch Nahrungsmittel- und Wassermangel; durch Menschen-, Kinder-, Organ- und Drogenhandel; durch Zwangsprostitution und Kinderprostitution.
     
  3. Die in Kirche und Diakonie vorhandenen „Globalisierungsbewegungen“, die kirchlichen „Global Player“ werden nicht erwähnt bzw. unzureichend berücksichtigt:
    z.B. der Weltgebetstag der Frauen; die ökumenischen Organisationen der Diakonie wie z.B. „Brot für die Welt“ und „Evangelischer Entwicklungsdienst“. Die Missionsbewegungen und Aktionsbündnisse wie „Clean Clothes Campagne“ bzw. „Blumenkampagne“ usw.
     
  4. Die theologische Auseinandersetzung sowohl mit der Barmer Theologischen Erklärung als auch mit den zitierten biblischen Texten bedarf der ausführlicheren Betrachtung und Beratung.
     
  5. Es bleibt eine theologische Herausforderung, das Verhältnis von Staat und Kirche für unsere Generation und die Situation einer sich globalisierenden Wirtschaft bei sich reduzierenden Möglichkeiten staatlicher Steuerung wirtschaftlicher Prozesse zu betrachten. Zu betonen ist die Erinnerungsfunktion der Kirche. Kirche erinnert den Staat an bestimmte Aufgaben, gestaltet aber nicht den Staat. Staatliches Handeln und national-staatliche Möglichkeiten haben sich durch ökonomische Globalisierung verändert bzw. begrenzt. Die Erinnerungsfunktion der Kirche hat sich entsprechend im Verhältnis zu Barmen ebenfalls verändert.
     
  6. Die Evangelische Frauenhilfe regt an, eine politische Tagung durchzuführen zum Thema „Staatskirche – zwischen Subsidiarität und Gemeinnützigkeit“.
     
  7. Im Zusammenhang des Diakonischen Werkes wird die Evangelische Frauenhilfe anregen, die Bedeutung der Barmer Theologischen Erklärung für das diakonische Handeln unter globalisierten Bedingungen zu bedenken.
     
  8. Zwei kritische Hinweise zur Hauptvorlage sind in den Beratungen der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen immer wieder genannt worden:
    1. Layout und Schriftgröße der Hauptvorlage wurden als nicht lesefreundlich und unübersichtlich empfunden. Die Verknüpfung zwischen den verwandten Symbolen und dem Inhalt der Hauptvorlage konnte nicht nachvollzogen werden.
       
    2. Das Verfahren der Veröffentlichung der Hauptvorlage und das Stellungnahmeverfahren nach öffentlicher Präsentation entsprechen nicht der bislang geübten Praxis im Umgang mit Hauptvorlagen. Außerdem kritisieren wir, dass diejenigen, die bereit waren, sich an der Beschäftigung mit der Hauptvorlage zu beteiligen, die Hauptvorlage über einen Verlag beziehen und entsprechend bezahlen mussten.

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