Stellungnahme zu den rassistisch motivierten Mordanschlägen (November 2011)

Mehr als 70 Teilnehmerinnen der 2-tägigen Soester Konferenz der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. unter dem Titel „Mehr als Kopftuch und Baklava: Islam und muslimische Menschen in Deutschland“ vom 21. bis 22. November 2011 haben folgende Stellungnahme zu den rassistisch-motivierten Mordanschlägen verabschiedet:

Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. trauert mit den Angehörigen um die Opfer der rassistisch motivierten Gewalt- und Mordserie. Die 70 Teilnehmerinnen der Konferenz „Mehr als Kopftuch und Baklava: Islam und muslimische Menschen in Deutschland“ vom 21. bis 22. November 2011 in Soest haben sich betroffen auch ihren eigenen Vorurteilen stellen müssen.

Menschen wurden ermordet, ihre Angehörigen wurden verdächtigt, Muslime und andere Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund wurden durch Berichterstattung und Ursachendeutung verunglimpft (Ehrenmord, Schutzgelderpressung, Döner-Morde). Wir haben uns diesen Deutungen und Verunglimpfungen nicht widersetzt. Wir haben nicht entschiedenes Vorgehen der Behörden eingefordert. Wir haben keine Zeichen von Mitgefühl oder Solidarität gegeben. Wir haben uns als Christinnen schuldig gemacht.

In Deutschland hat offensichtlich eine Vielzahl von rassistisch motivierten Morden stattgefunden. Die Polizei kam erst nach 11 Jahren scheinbar zufällig auf die Spur der Täter. Terroristen mit rassistischem Hintergrund haben vor den Augen der Öffentlichkeit Morde verübt. Über die Täter kommen jeden Tag neue Informationen ans Tageslicht. Unterlagen werden gefunden, die auf eine Zusammenarbeit der Täter mit den Verfassungsschutzbehörden schließen lassen. Es ist erschreckend, dass Menschen aus dem Umfeld der mutmaßlichen Täter und Täterinnen zugleich für den Staat als Informanten und Informantinnen tätig waren.

Ein fremdenfeindlicher Hintergrund wurde bei den Ermittlungen und in der öffentlichen Wahrnehmung jahrelang außer Acht gelassen. Es muss beim Namen genannt werden: Der nationalsozialistisch geprägte Rassismus ist gewalttätig und richtet sich gegen Muslime in Deutschland und gegen andere Menschen, die eingewandert sind und inzwischen in der dritten oder vierten Generation bei uns leben. Die rechte Gewalt trifft sie unabhängig vom Grad ihrer Integration. Sie sind Ladenbesitzer, Arbeitgeber, Steuerzahler, deutsche Bürgerinnen und Bürger. Während die Gefahr durch den Islamismus oder durch linksautonome Gruppen hohe Beachtung fand und zur Bereitschaft führte, bürgerliche Grundrechte einzuschränken, blieb der Widerstand gegen nationalsozialistisch motivierte Aktivitäten und Gewalttaten den Kommunen, kirchlich und zivilgesellschaftlich Engagierten in den Kommunen überlassen, die mit bis zu 20 % der Stimmen bei Kommunalwahlen für rechte, nationalsozialistische und rassistische Parteiorganisationen leben müssen.

Am 2. November 2011 jährte sich das Anwerbeabkommen mit der Türkei. Viele, die damals als so genannte Gastarbeiter für nur kurze Zeit kommen wollten, blieben hier, gründeten Familien. Heute leben sie, ihre Kinder, Enkel und Urenkel in Deutschland und bezeichnen Deutschland als ihre Heimat oder sind deutsche Staatsbürger. Die Integration von Migrantinnen und Migranten, teilte Bundeskanzlerin Angela Merkel aus diesem Anlass mit, sei eine der zentralen Aufgaben, die Deutschland bewältigen müsse. Wie gut uns das gelingt, entscheide nicht nur über die Lebensläufe dieser Menschen, es entscheide auch mit darüber, wie zukunftsfähig Deutschland sei.

Wir haben in Kirche, Politik und Gesellschaft Morde an Migrantinnen und Migranten hingenommen als religiös, kulturell oder sozial bedingte Morde aus dem Umfeld der Opfer. Wir sind durch die aktuellen Ereignisse aufgerufen, unsere Bilder und Vorurteile zu überprüfen und zu hinterfragen.

Die Bundesregierung wendet sich gegen jede Form von Diskriminierung. Sie ist gesetzlich verboten.
Wir sind als Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. der Ansicht, dass Gesetze allein den Alltag nicht ändern und Diskriminierung verhindern können. Wir müssen ein Klima des Respekts schaffen und den positiven Beispielen viel mehr Aufmerksamkeit verschaffen. Immer mehr Menschen müssen persönlich die Erfahrung machen, dass Menschen jeder Herkunft und jeden Glaubens gut miteinander leben und arbeiten können.

Die Konferenzteilnehmerinnen fordern die Bundesregierung, Kirchen und gesellschaftliche Gruppierungen auf, deutlich zu machen, dass ein Angriff auf eine Minderheit immer auch ein Angriff auf unser Gemeinwesen ist. Dieses Bewusstsein ist hierzulande noch immer unterentwickelt. Ein Mentalitätswandel ist wichtiger als jedes neue Gesetz.

Das Grundgesetz mit dem Gleichheits- und Gleichbehandlungsgrundsatz bietet bei konsequenter Anwendung aller dem demokratischen Rechtsstaat zur Verfügung stehenden Mittel eine ausreichende Grundlage.

Wir fordern alle demokratischen, kirchlichen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Verbände auf, ihren Beitrag zu leisten, Gesprächsmöglichkeiten zu suchen und zu schaffen, einander wahrzunehmen. Unrecht ist als solches zu benennen, die Aufklärung von Verbrechen einzufordern und entschlossen zu leisten.

Wir verpflichten uns als Evangelische Frauenhilfe in Westfalen zum interreligiösen und interkulturellen Dialog und zu einem Zusammenleben beizutragen, das von gegenseitiger Achtung, von Respekt und Toleranz, von Mitleidsfähigkeit und Nächstenliebe getragen wird.

Fenster schließen