Den Ausstieg erleichtern

(Juni 2014)

„In den ländlichen Regionen ist die Welt noch in Ordnung“: Dieser Irrglaube in Bezug auf Prostitution und Gewalt herrsche in den Köpfen vieler, so Birgit Reiche, von jeher vor.
Die Pfarrerin beim Landesverband der Evangelischen Frauenhilfe von Westfalen ist zugleich Leiterin der Beratungsstelle „Nadeschda“ für Opfer von Menschenhandel sowie der Prostituierten- und Ausstiegsberatungsstelle „Theodora“ in Herford. Zuständig für die Region Ostwestfalen-Lippe sollen diese bestehenden Institutionen nun als Vorbild für ein vergleichbares Projekt in Südwestfalen dienen. „Auch im Kreis Siegen-Wittgenstein gibt es Clubs, Bordelle und Wohnungen, in denen Frauen sich prostituieren“, führt Birgit Reiche weiter aus. Ab September soll es für die Region Südwestfalen ein spezialisiertes Beratungsangebot für Prostituierte geben.

Rund 40 „Terminwohnungen“ in Siegen-Wittgenstein

Die Dunkelziffer sei hoch, Zahlenangaben hingegen oftmals nur geschätzt. „Wir sind dabei auf Recherchen vor allem im Internet und in Tageszeitungen angewiesen, denn das ,Geschäft’ unterliegt ja keinem offiziellen Melderegister“, erklärt Iris Jänicke, stellvertretende Vorsitzende des Bezirksverbandes der Siegerländer Frauenhilfe. Im Kreis Siegen-Wittgenstein ist sie bei ihren Nachforschungen auf rund 40 sogenannte Terminwohnungen gestoßen. Eine spezialisiertes Beratungsangebot für die dort arbeitenden Frauen habe es bisher jedoch keines gegeben. Anders als etwa in den Städten des Ruhrgebietes, seien Sozialberatung und vor allem schnelle unbürokratische Hilfe schwierig zu erhalten, so die Verantwortlichen der Evangelischen Frauenhilfe. Erschwerend hinzu komme die geografische Situation: Die ländliche Besiedelung auf einer großen Fläche mache das Erreichen von niedrigschwelligen Angeboten mitunter schier unmöglich.

Beratungsbus soll Arbeit erleichtern

An dieser Stelle soll ab Herbst u.a. das dezentrale Angebot mit einem Beratungsbus zum Tragen kommen. Innerhalb der Region unterwegs, können die zu Beratenden aufgesucht werden oder auch kurzfristig das Gespräch mit den Expertinnen wahrnehmen.
Die Förderung durch Projektmittel der Aktion Mensch für einen Zeitraum von drei Jahren ermöglicht zunächst die Einrichtung von eineinhalb Stellen. In Trägerschaft der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen wird sich die Hauptstelle der neuen Prostituierten- und Ausstiegsberatung - derzeit noch ohne Namen - ab 1. September in Soest befinden. „Eine Dependance dazu soll es auch in Siegen geben“, so die Bezirksverbandsvorsitzende Erika Denker. Zur Mitnutzung wird hierfür das Büro des Sozialen Dienstes der Frauenhilfe an der Siegener Friedrichstraße zur Verfügung stehen.

Auch Beratungen bei Anträgen und Steuerfragen

Doch an wen richtet sich das Angebot tatsächlich? „Durch die Arbeit mit Prostituierten im Projekt ,Theodora’ ist deutlich geworden, dass mehr als die Hälfte der Klientinnen bereits Kinder haben oder schwanger sind“, so Birgit Reiche. Neben Mädchen und jungen Frauen, meist im Alter zwischen 18 und 27 Jahren, sind auch deren Kinder im Blick. Konkret soll ihnen beispielsweise beim Ausstieg aus der Prostitution aber auch bei Behördenangelegenheiten, bei Anträgen und Steuerfragen sowie in Verhandlungen mit Ämtern, Vermietern und Banken geholfen werden. Auch Schuldenregulierung sei oftmals ein Thema. „Viele sind nicht krankenversichert, andere sind Analphabetinnen: Ohne die Verwendung von schriftlichen Unterlagen ist auch eine grundlegende und notwendige gesundheitliche Versorgung und Aufklärung schwierig.“

 

Zum Hintergrund:

Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen setzt sich seit Jahrzehnten ein für Geschlechtergerechtigkeit, für Inklusion und Teilhabe sowie gegen jegliche Form von Gewalt an Frauen.
Näheres dazu finden Sie unter:

 

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