Herbstkonferenz der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. ringt um gewaltfreie Lösungen in Krisen- und Konfliktgebieten

(Oktober 2015)

Herbstkonferenz der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. - Antje Heider-Rottwilm (Oktober 2015)

Herbstkonferenz der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. - Annette Muhr-Nelson (Oktober 2015)

Herbstkonferenz der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. - Susanne Schart (Oktober 2015)

„...von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen…“ So steht es in der Präambel des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Damit verpflichtet es alle Menschen in Deutschland auf ein Handeln, das nicht den Willen zur Macht in den Vordergrund stellt. Wie kann diesem Grundgedanken entsprochen werden angesichts z.B. der gewaltsamen Konflikte in der Ukraine, der unterkühlten Beziehung zwischen dem Westen und Russland, dem Vormarsch der Terrormiliz „Islamischer Staat“ im Irak und Syrien oder dem Israel-Palästina Konflikt? Die internationalen Sicherheitsbeziehungen haben sich verändert und humanitäre Intervention und Schutzverantwortung sind oftmals benannte Begründungen für ein militärisches Eingreifen. Friedens-ethische Fragen gewinnen immer mehr an Bedeutung.

Diesen Fragestellungen widmeten sich knapp 60 Teilnehmerinnen, die sich in der diesjährigen Herbstkonferenz der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. Ende Oktober in Soest trafen. Oberkirchenrätin a.D. Antje Heider-Rottwilm, Vorsitzende von Church and Peace e.V., Pfarrerin Annette Muhr-Nelson, ehemalige Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche von Westfalen, und Militärseelsorgerin Susanne Schart beschrieben die friedensethischen und friedenspolitischen Herausforderungen für Christinnen und Christen.

Frieden muss noch werden…

Zunächst führten sich die Teilnehmerinnen die aktuellen Krisen- und Kriegsgebiete der Welt vor Augen. Anfang Oktober 2015 befanden sich ca. 2.800 deutsche Soldaten und Soldatinnen in 16 Außeneinsätzen der Bundeswehr, erläuterte Schart die heutigen Aufgaben der bundesdeutschen Verteidigungsstreitkräfte und Parlamentsarmee. Unter dem Titel „…dem Frieden der Welt zu dienen…“ erläuterte die Militärseelsorgerin Pfarrerin Susanne Schart, was die Seelsorge für Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr ausmacht. „Soldaten tragen den Konflikt der unerlösten Welt“, resümierte die Militärpfarrerin, die seit Mai 2011 zuständig für die Standorte Ahlen, Arnsberg, Unna und zugehörig zum Militärdekanat Köln ist.

„Ist der Begriff der „unerlösten Welt“ Argument genug, um unerlöstes Handeln zu rechtfertigen?“, spitzte Antje Heider-Rottwilm die friedensethische Fragestellung zu. Solange jährlich 35 Millionen € für zivile Friedensdienste, das Tausendfache jedoch jährlich für den deutschen Verteidigungshaushalt ausgegeben werde, sei das politische Preisen von gewaltfreier Intervention bloßes Lippenbekenntnis. „Statt Waffen und Soldaten brauchen wir 180.000 kultursensible und systematisch ausgebildete Friedenstifter sowie einen Etat von 35 Milliarden € für zivile Friedensdienste.“

Füße auf den Weg des Friedens richten…

Welchen Beitrag die Kirchen zur aktuellen Friedensdiskussion leisten, führte Pfarrerin Annette Muhr-Nelson, Amt für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung (MÖWe) der Evangelischen Kirche von Westfalen und ehemalige Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche von Westfalen, aus. „Die Chance der Kirchen ist es, eine andere Stimme zu erheben, in der zugespitzten Situation den Blick zu weiten“, stellte die Pfarrerin fest. Dabei hob sie auf die Definition des „gerechten Friedens“ ab: „Frieden ist ein Prozess zur Verminderung von Gewalt, Not, Unfreiheit und Angst.“ Er sei kein Zustand, sondern ein Prozess abnehmender Gewalt und zunehmender Gerechtigkeit. Damit seien Gewalt, Not, Unfreiheit und Angst reale Gegebenheiten, die gemindert und überwunden werden können mit gewaltfreien Lösungen.

„Ein gerechter Friede ist möglich!“, stellte Muhr-Nelson fest. „Das Konzept der Schutzverantwortung, entwickelt von den Vereinten Nationen, wird derzeit eher zur Legitimierung von militärischen Interventionen genutzt.“ Dabei - so die ehemalige Friedensbeauftragte - bestehe das Konzept aus dem 3-Schritt „Prävention - Handeln - Aufbauen“. Die Akteure würden jedoch zu schnell zu dem Schritt „Handeln“ übergehen, der eine gezielte und begrenzte Maßnahme zur Beendigung von Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorsieht, wenn alle anderen Maßnahmen erfolglos sind. Präventives Vorgehen bedeute jedoch, Entwicklungen vor Ort zu erkennen, dann zu urteilen und entsprechend zu handeln. So stelle sich nach Ansicht von Muhr-Nelson die Frage: „Ist das Konzept der Schutzverantwortung eine Rückkehr zum Konzept des gerechten bzw. gerechtfertigten Krieges?“

Gewaltfreiheit und zivile Konfliktbearbeitung

Die Vorsitzende von Church and Peace e.V. zeigte auf, dass sich von 1948 - der Verabschiedung der UN-Charta - bis 2013 das Paradigma des „gerechten Krieges“ durchgehalten habe. Erst in der Vollversammlung des Ökumenischen Rates 2013 hatten sich die Kirchen zu dem Konsens des „gerechten Frieden“ geeinigt. Oberkirchenrätin i. R. Antje Heider-Rottwilm verdeutlichte, wie Gewaltfreiheit und zivile Konfliktbearbeitung als Alternativen zu militärischer Intervention greifen kann. Verschiedene wissenschaftliche Studien hätten ergeben, dass politscher Wechsel möglich ist, wenn 3,5% der Bevölkerung der Überzeugung „von etwas“ seien. Das biete Chancen, das biete Risiken. „Solange ein militärischer Einsatz als letztes Mittel gedacht wird, wird das letzte Mittel auch eingesetzt. Waffen werden ja auch nicht produziert und gekauft, um zu verrotten, sondern um gebraucht zu werden“, spitzte sie zu.

Muhr-Nelson und Heider-Rottwilm waren sich einig darin, dass Verbände, Initiativen und andere Organisationen die Bundestagsabgeordneten einladen sollten, um mitzuteilen: „wir machen die herrschende Logik und die Logik der Herrschenden nicht mehr mit.“

Zum Hintergrund:

Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. ist ein Mitgliederverband, ein Trägerverein und eine zertifizierte Einrichtung der evangelischen Frauen- und Familienbildung. Als eingetragener Verein verantwortet sie die gemeindebezogene Frauenarbeit in Westfalen in Bindung an die Evangelische Kirche von Westfalen. Zum Mitgliederverband gehören 38 Bezirks-, Stadt- und Synodalverbände, in denen sich fast 45.000 Frauen in 1.100 Ortsgruppen zusammengeschlossen haben. Als sozial-diakonische Trägerin verantwortet die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen über 15 Einrichtungen in der Altenpflegeausbildung, Altenhilfe, Behindertenhilfe und Anti-Gewalt-Arbeit.
Einzelheiten erfahren Sie unter www.frauenhilfe-westfalen.de.

Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. beschäftigt sich seit vielen Jahrzehnten mit den Themen um Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung in unterschiedlichen Handlungsfeldern.
Näheres finden Sie unter  www.frauenhilfe-westfalen.de/oekumene_weltverantwortung.php

Zu den Personen:

 

Antje Heider-Rottwilm
Vorsitzende von Church and Peace e.V., Oberkirchenrätin i.R.; zuletzt Leiterin des Ökumenischen Forums HafenCity, Hamburg; 1997 bis 2008 Leiterin der Europaabteilung der EKD, hatte an der Entstehung der Charta Oecumenica und ihrer Verbreitung mitgewirkt; zuvor Studierendenpfarrerin in Paderborn und von 1990 bis 1997 in der Westfälischen Dekadestelle „Kirchen in Solidarität mit den Frauen“ mit Sitz in Soest bei der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen.e.V.

Annette Muhr-Nelson
studierte Theologie in Bochum und Bonn und machte ihre Ausbildung zur Pfarrerin im Dortmunder Westen. Von 1990 bis 2004 war sie als Gemeindepfarrerin in Schwerte tätig und von 1997 bis 2004 Mitglied der Kirchenleitung der westfälischen Landeskirche, deren Friedensbeauftragte sie von 2010 bis 2015 war. 2004 - 2015 ist Annette Muhr-Nelson Superintendentin im Evangelischen Kirchenkreis Unna gewesen. Seitdem leitet sie das Amt für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung (MÖWe) der Evangelischen Kirche von Westfalen.

Militärpfarrerin Susanne Schart
ist seit Mai 2011 zuständig für die Standorte Ahlen, Arnsberg, Unna und zugehörig zum Militärdekanat Köln. Susanne Schart war zuvor Pfarrerin im Rundfunkreferat der Evangelischen Landeskirchen von Westfalen, Rheinland und Lippe in Düsseldorf und arbeitete vorher beim Westdeutschen Rundfunk.

 

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