Gegenwärtige Herausforderungen für Frauen in Gesellschaft, Politik und Kirche -
Stellungnahme der Mitgliederversammlung der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V., Soest

(30.Oktober 2018)

Vor 20 Jahren endete die Ökumenische Dekade „Kirchen in Solidarität mit den Frauen“. Die Mitgliederversammlung der  Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. hat sich daher mit den gegenwärtigen Herausforderungen für Frauen in Gesellschaft, Politik und Kirche beschäftigt.

Angesichts der bedrohlichen politischen Entwicklungen durch Rechtspopulismus in Deutschland, in Europa und weltweit hat die Evangelische Frauenhilfe als Mitglied der Evangelischen Frauen in Deutschland  die Forderungen des Aktionsbündnisses #unteilbar unterstützt, das für den 13. Oktober zu einer bundesweiten Großdemonstration für eine offene und freie Gesellschaft in Berlin aufgerufen hatte.

Wir stellen fest:
Es findet eine dramatische politische Verschiebung statt: Rassismus und Menschenverachtung werden gesellschaftsfähig. Humanität und Menschenrechte, Religionsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit werden offen angegriffen. Ansprüche an den Sozialstaat, Hilfe und Zuwendungen für Geflüchtete und die Debatte um Deutschland als Einwanderungsland werden miteinander vermischt und gegeneinander ausgespielt. Grund- und Freiheitsrechte sollen weiter eingeschränkt werden.

Wir betonen:
Das Sterben von Menschen auf der Flucht nach Europa darf nicht Normalität werden. Während in den ersten sieben Monaten dieses Jahres mehr als 1.500 Menschen im Mittelmeer ertrunken sind, konzentrierte sich die politische Debatte in Deutschland auf die Frage der durchgeführten oder versäumten Abschiebungen. Europa ist von einer nationalistischen Stimmung der Entsolidarisierung und Ausgrenzung erfasst. Kritik an unmenschlichen Verhältnissen wird gezielt als realitätsfremdes „Gutmenschentum“ diffamiert.
Während sogenannte Sicherheitsgesetze verschärft werden und die Überwachung ausbaut wird, wird in Pflege, Gesundheit, Kinderbetreuung und Bildung, sozialen Wohnungsbau und soziale Sicherung zu wenig investiert.  Steuerlich begünstigte Milliardengewinne der Wirtschaft stehen einem der größten Niedriglohnsektoren Europas und der Verarmung benachteiligter Menschen gegenüber.
Das Ausmaß der Kinderarmut in Deutschland ist skandalös und macht deutlich, dass die bisherigen Transferleistungen und Steuerbegünstigungen nicht geeignet sind, allen Kindern in Deutschland Bildung und Teilhabe zu ermöglichen. Die Mitgliederversammlung unterstützt die Forderung an die Bundesregierung, eine Kindergrundsicherung zu beschließen.

Wir stellen fest:
Selbstbestimmungsrechte und Freiheitsrechte werden in politischen Diskussionen populistisch ausgehöhlt. Themen wie die der Frauenrechte werden vermehrt instrumentalisiert, um Fremdenhass zu schüren. Vor allem das Thema Sicherheit von Frauen wird durch Rechtspopulist*innen für ihre Agenda missbraucht.

Wir rufen auf:
Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen ruft ihre 45.000 Mitglieder auf, sich sowohl für den Schutz von Frauenrechten als auch für eine differenzierte Auseinandersetzung mit Gewalttaten einzusetzen. Pauschale Zuschreibungen und Feindbilder reproduzieren Gewalt und tragen nicht zu einem friedlichen Zusammenleben bei.
Alle Mitglieder mögen für eine offene und solidarische Gesellschaft eintreten, in der Menschenrechte unteilbar und vielfältige und selbstbestimmte Lebensentwürfe selbstverständlich sind. Jegliche Form von Diskriminierung und Hetze ist entschieden abzulehnen.
Antimuslimischem Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Antifeminismus und LGBTIQ1- Feindlichkeit ist in der Gemeinschaft der Frauenhilfen entschieden entgegen zu treten.
Von Diskriminierung, Kriminalisierung und Ausgrenzung grenzen wir uns in der Gemeinschaft der Frauenhilfe entschieden ab.
Alle Mitglieder der Frauenhilfen mögen sich bekennen zu einem Europa der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit, zu einem solidarischen und sozialen Miteinander, zu einer freien und vielfältigen Gesellschaft.
Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. bittet alle Menschen, zur Wahl des Europäischen Parlaments am 26. Mai 2019 zu gehen. Mit jeder Stimme gilt es, sowohl diejenigen Parteien als auch diejenigen Kandidatinnen und Kandidaten zu stärken, die für die Menschenrechte, die friedliche Weiterentwicklung Europas und für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten. Frauenhilfen und Mitgliedsverbände, denen es möglich ist, sollten Europa-Abgeordnete demokratischer Parteien zu Gesprächen über deren politische Ziele und Inhalte einladen.

Wir sind solidarisch  im Netzwerk evangelischer Frauenverbände:
Christinnen und Christen haben die Pflicht, wach und wehrhaft zu bleiben, wenn Freiheitsrechte und Selbstbestimmungsrechte eingeschränkt werden. 
Die Mitgliederversammlung schließt sich der Forderung der Evangelischen Frauen in Deutschland (EFiD) und anderer Frauenverbände an, den Paragraphen 219a abzuschaffen, der derzeit verhindert, dass Frauen sich in Schwangerschaftskonflikten sachlich über medizinische Methoden und Schwangerschaftsabbrüche durchführende Ärztinnen und Ärzte informieren können. Das Selbstbestimmungsrecht und das Recht auf Zugang zu Information als Voraussetzung für eine freie Arztwahl schränkt der §219a ein, der von den Nationalsozialisten 1933 eingeführt worden ist.
Die Mitgliederversammlung lehnt gemeinsam mit dem Dachverband EFiD die Forderung nach Einführung einer Widerspruchsregelung im deutschen Transplantationsgesetz entschieden ab und plädiert für den Verbleib beim Grundsatz der Freiwilligkeit und Selbstbestimmung bei der Entscheidung für oder gegen eine Organspende.2

Beschlossen in der Mitgliederversammlung der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V.,
Soest, 30. Oktober 2018 

 

Hintergrundinformation:
Die Ökumenische Dekade „Kirchen in Solidarität mit den Frauen“, wurde 1987 vom Zentralausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) beschlossen und 1988 eröffnet. Die Kirchen sollten sich 10 Jahre mit den Frauen auf den Weg machen und voller Glauben und Vertrauen den „patriarchalen Steinen zu widerstehen“ (Aruna Gnanadason, ÖRK), Steine aus dem Weg räumen, die die volle gleichberechtigte Teilhabe von Frauen behinderten und ihnen den Weg versperrten.
Bei der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen wurde die Westfälische Dekade-Arbeitsstelle in Soest eingerichtet mit einer Pfarrstelle, die mit OKR i.R. Antje Heider-Rottwilm besetzt wurde. Später arbeiteten in der Dekade-Arbeitsstelle Rolf Bürger, Anja Vollendorf und Stefanie Lüders jeweils als Pfarrerinnen im Entsendungsdienst. Finanziert wurde die Arbeitsstelle von der Evangelischen Kirche von Westfalen.

 

 

1 Steht für Lesbisch Schwul Bi Trans* Inter* Queer; Seit den 1980er Jahren wurde eine Begriffsalternative mit Großbuchstaben gesucht, um negativ konnotierte Formulierungen wie homosexuell abzulösen.

2 EFiD hat seit einigen Jahren die Aufklärungs-Kampagne „Organspende - Der andere Ausweis“ (www.organspende-entscheide-ich.de).

 

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