102 Prostituierte in Teilen Südwestfalens intensiv beraten

(Februar 2023)

102 Prostituierte in Teilen Südwestfalens intensiv beraten (Februar 2023)

Die 38jährige Lucie arbeitet seit 2011 in der Prostitution. Die COVID-19 Pandemie und das daraus resultierende lange andauernde Prostitutionsverbot stellte Lucie vor große Herausforderungen. Sie wendet sich an die Prostituiertenberatungsstelle TAMAR. Sie stabilisiert durch die psychosoziale Unterstützung der Mitarbeiterin von TAMAR. Leistungen zur Existenzsicherung beim Jobcenter wurden beantragt und bewilligt. Lucie besucht fortan regelmäßig einen Sprach- und Integrationskurs. Mit Unterstützung von TAMAR bei Bewerbungsschreiben und Vorstellungsgesprächen findet Lucie eine Teilzeitbeschäftigung in einer großen Reinigungsfirma. Sie fühlt sich dort zwar wohl, machte aber deutlich, dass sie, sobald die Pandemie vorbei ist, wieder in die Prostitution zurückkehren möchte.

Im Januar 2022 holt Lucie ihre fünfjährige Tochter aus Rumänien zu sich. TAMAR hilft Lucie, eine größere Wohnung für sich und ihre Tochter zu finden, Kindergeld zu beantragen und die Tochter in einer Grundschule anzumelden. Im September 2022 nimmt Lucie wieder eine Tätigkeit in der Prostitution auf.
Lucie ist eine von 102 Klientinnen, die von der Prostituiertenberatungsstelle TAMAR intensiv begleitet wurde. 34 davon befinden sich im Ausstiegsprozess. Aufgrund der Komplexität der individuellen Lebensbedingungen der Frauen läuft die intensive sozialarbeiterische Begleitung über Wochen, Monate und Jahre. Im Jahr 2022 wurden im Kreis Siegen-Wittgenstein insgesamt 31 Frauen, im Kreis Olpe 15 Frauen und im Kreis Soest 56 Frauen intensiv beraten und begleitet.

In 2022 sind viele Menschen wieder in die Sexarbeit zurückgegangen oder haben die Tätigkeit neu aufgenommen“, stellt die Beraterin Jolanta Schmidt fest und ihre Kollegin, Sabin Reeh-Bender erläutert: „Ursache für die steigenden Zahlen sind möglicherweise der Ukraine-Krieg und die damit einhergehenden steigenden Kosten im allen Lebensbereichen, die viele Menschen erneut an ihre Existenzgrenze bringen.“ Drohende Wohnungslosigkeit und finanzielle Notlagen führten dazu, dass die Beraterinnen Kontakt zur Vermietern und Energielieferanten aufnahmen und Aufschub oder Stundungen von finanziellen Forderungen vereinbarten.

Insgesamt wandten sich 181 Frauen im Jahr 2022 - 79 davon benötigten nur ein Gespräch - an die Beratungsstelle. Die Anfragen nach Beratung und Unterstützung waren hoch. Dabei dominierten Themen wie kostenlose gynäkologische Untersuchungsangebote (88 Frauen) sowie die Terminvereinbarung und Begleitung zu den Gesundheits- und Ordnungsämtern (69 Frauen). Während in der akuten Pandemie-Zeit der Schwerpunkt auf Existenzsicherung lag, verlagern sich die Hilfebedarfe wieder auf andere Inhalte.

Aufsuchende Arbeit

TAMAR war 2022 wieder regelmäßig in Prostitutionsorten wie Bars, Bordellen, Wohnungen und Saunaclubs unterwegs. Zudem wurden Parkplätze aufgesucht, wo Prostitution in Autos und Wohnmobilen stattfindet.
Im Jahre 2022 wurden 156 Frauen durch die aufsuchende Arbeit an insgesamt 25 Prostitutionsorten neu angetroffen. Davon 81 Frauen im Kreis Siegen-Wittgenstein, 12 Frauen im Kreis Olpe und 63 im Kreis Soest.
In den Monaten Januar und Februar sind erfahrungsgemäß weniger Frauen tätig, da die Kundennachfrage in diesem Zeitraum nicht so stark ist wie während der restlichen Jahreszeit“, erklärt Reeh-Bender. „Nicht selten nutzen die Frauen diese Zeit um einen Aufenthalt in ihrem Heimatland zu planen.“

Über 90 % der Frauen, die im Rahmen der aufsuchenden Arbeit und/oder der individuellen Betreuung im Jahre 2022 angetroffen wurden, sind Migrantinnen. Ein großer Teil dieser Frauen gibt Rumänien (83 Frauen) oder Bulgarien (25 Frauen) als Herkunftsland an bzw. möchte den Flyer der Beratungsstelle auf rumänischer oder bulgarischer Sprache erhalten. „Wir haben jedoch bemerkt, dass sich während der COVID-19 Pandemie überdurchschnittlich viele Frauen an die Beratungsstelle gewandt haben, die entweder im Besitz der deutschen Staatbürgerschaft oder zumindest hier seit Jahren verwurzelt sind“, stellt Schmidt fest.

Hintergrund

Die Prostituierten- und Ausstiegsberatungsstelle TAMAR ist seit 2022 für die Kreise Siegen-Wittgenstein, Olpe und Soest zuständig. Die 2014 von der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen gegründete Beratungsstelle war zuvor Anlaufstelle für Frauen, die die Tätigkeit der Prostitution im ländlichen Raum von Südwestfalen ausüben. Eine Förderung durch den Märkischen Kreis, den Hochsauerlandkreis und der Stadt Hamm wurde jedoch für 2022 nicht erwirkt. Die Stadt Hamm will ab dem Haushaltsjahr 2023 die Beratung von Prostituierten fördern und TAMAR wird sich an dem Interessenbekundungsverfahren beteiligen.

Weitere Informationen

Weitere Informationen unter www.tamar-hilfe.de

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