Beratung und Hilfe für 110 Prostituierte in Teilen des Münsterlands

(Februar 2023)

Beratung und Hilfe für 110 Prostituierte in Teilen des Münsterlands (Februar 2023)

Die 44jährige Mona arbeitet seit 2018 in der Prostitution. Sie wendete sich an Prostitutionsberatungsstelle TAMAR MÜNSTERLAND, da sie der Tätigkeit in der Sexarbeit nicht mehr nachgehen möchte. TAMAR unterstützt Mona in der Recherche nach einer alternativen Tätigkeit, bei Bewerbungsschreiben und Vorstellungsgesprächen. Mona findet eine Anstellung in der Reinigungsbranche. Zusätzlich werden ergänzende Leistungen nach dem SGB II beantragt und bewilligt.

Einige Wochen später meldet sich Mona erneut bei TAMAR. Bei einer Routineuntersuchung wurde ein bösartiger Tumor diagnostiziert. Da ihr Arbeitsverhältnis befristet war, wurde dies nach Bekanntgabe der Diagnose nicht verlängert. In der Folge stellte das zuständige Jobcenter die Leistungen ein mit der Begründung, dass diese nur geleistet werden können, wenn ein Arbeitsverhältnis vorliegt. Die mehrmonatige Chemotherapie von Mona war gefährdet, da ihr Krankenversicherungsschutz durch das Ausbleiben der Jobcenterleistungen nicht mehr gesichert war.

Die Diagnose führt bei Mona zu einer starken psychischen Belastung, die eine intensive Krisenintervention durch die TAMAR-Beraterin nötig machte. Darüber hinaus beantragte TAMAR beim zuständigen Amtsgericht Prozesskostenhilfe für Mona und begleitete sie zum Anwalt für Sozialrecht. Dieser bewirkte, dass das Jobcenter die Leistungen weiterhin erbringt. TAMAR stellte zudem den Kontakt zu einer spezialisierten Beratungsstelle für Krebspatient*innen vor Ort her, an die sich Mona jederzeit wenden kann, wenn sie weitere psychosoziale Unterstützung benötigt.

Insgesamt 90 Klientinnen wie Mona begleitete die Beratungsstelle TAMAR MÜNSTERLAND intensiv im Jahr 2022. 35 Frauen befinden sich im Ausstiegsprozess. Aufgrund der Komplexität der individuellen Lebensbedingungen der Frauen läuft die intensive sozialarbeiterische Begleitung über Wochen, Monate und Jahre. Im Jahr 2022 wurden im Kreis Steinfurt insgesamt 31 Frauen, im Kreis Borken 25 Frauen und im Kreis Coesfeld 34 Frauen intensiv beraten und begleitet.

In den letzten 4½ Jahren konnte die Beratungsstelle TAMAR MÜNSTERLAND kontinuierlich ihre Arbeit ausbauen. Frauen, die in der ländlichen Region des Münsterlandes der Prostitution nachgehen, wurde individuelle Hilfestellung und Unterstützungsangebote in unterschiedlichen Lebenslagen angeboten. Leider waren über das Projektende 2021 hinaus, nur die Kreise Steinfurt, Borken und Coesfeld bereit, die Beratungsstelle aus kommunalen Mitteln weiter zu finanzieren.

In 2022 sind viele Menschen wieder in die Sexarbeit zurückgegangen oder haben die Tätigkeit neu aufgenommen“, stellt die Beraterin Jolanta Schmidt fest und ihre Kollegin, Sabin Reeh-Bender erläutert: „Ursache für die steigenden Zahlen sind möglicherweise die steigende Inflation oder die Aufhebung der Pandemie-Beschränkungen.“ Drohende Wohnungslosigkeit und finanzielle Notlagen führten dazu, dass die Beraterinnen Kontakt zur Vermietern und Energielieferanten aufnahmen und Aufschub oder Stundungen von finanziellen Forderungen vereinbarten.

Insgesamt wandten sich 110 Frauen im Jahr 2022 - 20 davon benötigten nur ein Gespräch -an die Beratungsstelle. Dabei konnte im Jahre 2022 festgestellt werden, dass der Schwerpunkt der während der akuten Pandemie auf Existenzsicherung lag, sich auf andere Schwerpunkte der sozialarbeiterischen Tätigkeit von TAMAR verlagert hat.

Aufsuchende Arbeit

Im Rahmen der aufsuchenden Arbeit in den unterschiedlichen Kreisen fanden 171 Erstkontakte statt. 51 Frauen waren es im Kreis Steinfurt, 33 Frauen im Kreis Borken und 87 im Kreis Coesfeld. „In den Monaten Januar und Februar sind erfahrungsgemäß weniger Frauen tätig“, erklärt Reeh-Bender. Zudem herrschten Anfang des Jahres noch Beschränkungen zur Bekämpfung der COVID-19 Pandemie. Viele Clubs und Bordelle in den einzelnen Kreisen nach der Pandemie haben nicht wiedereröffnet. Trotz alle dem wurden im Jahr 2022 fast 50 Frauen neu angetroffen, als in dem Jahr zuvor.

Über 90 % der Frauen, die im Rahmen der aufsuchenden Arbeit und/oder der individuellen Betreuung im Jahre 2022 angetroffen wurden, sind Migrantinnen. Ein großer Teil dieser Frauen gibt Bulgarien (51 Frauen) als Herkunftsland an, gefolgt von Rumänien (40 Frauen) und Spanien (20 Frauen).

Im Münsterland arbeiten ca. 80 % der Prostituierten mit Migrationshintergrund. Ihnen fehlen teilweise grundlegende Kenntnisse über STI und AIDS, sowie Wissen über die Übertragungswege und Schutzmöglichkeiten. In ihren Herkunftsländern gibt es häufig kaum Informationen. Sowohl bei den Besuchen der Prostitutionsorte als auch bei der individuellen Sozialarbeit spielt gesundheitliche Aufklärung eine wichtige Rolle. Durch muttersprachliche Broschüren und die Vermittlung an Sprechstunden der Gesundheitsämter werden sie aufgeklärt. Die Mitarbeiterinnen von TAMAR fördern durch diese Aufklärung die Gesundheit der Sexarbeiterinnen. Darüber hinaus arbeitet TAMAR MÜNSTERLAND in den Frauennetzwerken der AIDS-Hilfe NRW mit.

Hintergrund

Die Prostituierten- und Ausstiegsberatungsstelle TAMAR ist seit 2022 für die Kreise Steinfurt, Borken und Coesfeld zuständig. Die 2018 von der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen gegründete Beratungsstelle war zuvor Anlaufstelle für Frauen, die die Tätigkeit der Prostitution im ländlichen Raum im Münsterland ausüben. Eine Förderung durch den Kreis Warendorf und die Stadt Münster wurde jedoch für 2022 nicht erwirkt.

Weitere Informationen

Weitere Informationen unter www.tamar-hilfe.de

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