(August 2024)
Die Statistiken für das Jahr 2023 sprechen eine deutliche Sprache: Die Zahl der von häuslicher Gewalt Betroffenen stieg im Vergleich zum Vorjahr um 6,5 %. Hinter jeder Zahl stecken Schicksale: Angst, Gewalt, Schmerzen und in einigen Fällen der Tod eines Menschen. Im Jahr 2023 wurden 155 Femizide verzeichnet - 155 Frauen, die von ihrem Partner oder Expartner getötet wurden. 256.276 Menschen erlebten Gewalt durch ihren Partner, ihre Partnerin oder im familiären Umfeld. Und noch eine Zahl, die erschreckt: In den letzten fünf Jahren stieg die Anzahl der Fälle häuslicher Gewalt um 20 % an. Dabei handelte es sich lediglich um die zur Anzeige gebrachten Delikte.
Sowohl bundesweit als auch in NRW sind etwa 71% der Betroffenen von häuslicher Gewalt weiblich. Etwa 76 % der Ausübenden von häuslicher Gewalt sind Männer. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr im Kreis Soest 601 Strafanzeigen wegen häuslicher Gewalt gestellt. „28 Frauen und 49 Kinder fanden im letzten Jahr Schutz im FRAUENHAUS SOEST“, stellte Pfarrerin Anne Heckel bereits Anfang des Jahres fest. Die Geschäftsfeldleiterin der Anti-Gewalt-Arbeit der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. (EFHiW) führte aus, dass zuvor schon die Auslastungsgrenze mit 7.095 Belegungstagen überschritten war. „Mit 7.727 Belegungstagen war das Frauenhaus im letzten Jahr fast durchgängig überbelegt!“, stellte sie heraus.
Häusliche Gewalt zieht sich durch jedes Alter, durch jede soziale Klasse durch jede Herkunft und durch jede Religion. Sie hat viele Gesichter und Formen und ist tief verwurzelt in gesellschaftlichen Normen, in Machtverhältnissen und traditionellen Geschlechterrollen. Viele der Gewalt-Ausübenden handeln mit gezielten Manipulationstechniken, wodurch Betroffenen der Ausstieg aus einer Gewaltspirale erschwert werden würde. „Hinter häuslicher Gewalt steckt außerdem ein Netzwerk an Mitwissenden, die kein Problem in dem Geschehen sehen oder sich nicht dazu äußern“, erklärt Anne Heckel. Der freiwillige Einzug in ein Frauenhaus ist häufig die letzte Möglichkeit, die Gewaltsituation zu verlassen. Mit einer durchgängigen Auslastung von 110 Prozent wie in Soest ist das kaum möglich – Frauenhäuser sind in der Regel überfüllt.
Im Soester Frauenhaus ist Platz für acht Frauen und elf Kinder. „Gerade von Gewalt betroffene Frauen mit mehreren Kindern benötigen das Angebot eines Schutzraums, wo sie im Familienverbund aus der Gewaltsituation hin fliehen können“, so Heckel. Bislang gibt es sieben Mitarbeiterinnen, die auf fünf Vollzeitstellen verteilt sind. Die Sozialarbeiterinnen helfen bei der Wohnungssuche, vermitteln an Behörden und leiten Gruppenangebote im Haus an. Es gibt eine Gemeinschaftsküche und ein Gemeinschaftsbad und die Verantwortung für die eigenen Kinder bleibt bei den Müttern. „Es geht dort ein bisschen wie in einer Groß-WG zu“, erläutert Heckel.
Mit ihrem Getrappel und ihrem Spielzeug prägen Kinder das Leben des Hauses. Die Schutzeinrichtung ist für sie eine wichtige Chance, die Gewaltspirale zu durchbrechen und ihnen Entwicklungs-Chancen zu eröffnen. Seit November 2023 wird die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen durch zwei Fachkräfte verstärkt. Sie ergänzen die bestehende Betreuungsstruktur im Haus mit dem Fokus auf Kinder und Jugendliche. So soll eine individuelle Infrastruktur aufgebaut, kindgerecht erlebte Gewalt thematisiert und die Beziehung zwischen Kindern und Müttern gestärkt werden. Die beiden Fachkräfte teilen sich eine Stelle und werden durch Land und Kommune gefördert.
„Seit 1990 sind im Kreis Soest nur die 8 Plätze im FRAUENHAUS SOEST vorhanden“, stellt Anne Heckel nochmals fest. Laut der Istanbul-Konvention ist das Land verpflichtet, je 10.000 Einwohner*innen einen Platz in einem Frauenhaus vorzuhalten. Für den Kreis Soest mit 300.000 Einwohner*innen wären das 30 Plätze für Frauen. Die Westfälische Frauenhilfe arbeitet weiterhin daran, dass das Frauenhaus auf 16 Frauen-Plätze im Appartement-System mit offenem Konzept in Soest bis 2026 erweitert wird und stellt dafür verschiedene Anträge bei Bund und Land.