Unbezahlbar – und trotzdem ignoriert:
Die Arbeit von Frauen

(Juli 2025)

Unbezahlbar – und trotzdem ignoriert: Die Arbeit von Frauen (Juli 2025)

In den vergangenen Wochen wurde von führenden Stimmen aus Politik und Wirtschaft verstärkt gefordert, dass „wir“ in Deutschland mehr arbeiten müssten. Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen (EFHiW) ist sicher: Es werde sehr wohl viel gearbeitet – häufig unbezahlt, ungleich verteilt und gesellschaftlich wenig gewürdigt. „Die Forderungen nach „mehr Arbeit“ blenden strukturelle Ungleichheiten systematisch aus“, stellt Pfarrerin Birgit Reiche fest. Sie ist die Geschäftsführerin des Frauenverbandes mit mehr als 750 Mitarbeitenden und Tausenden Ehrenamtlichen in den evangelischen Gemeinden. „Diese Forderungen dienen eher der Verteidigung eines einseitigen Wohlstandsbegriffs als einer echten gesellschaftlichen Lösung.“

Im Mai rief CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann dazu auf, „ins Machen“ zu kommen, während Kanzleramtsminister Thorsten Frei vor zu viel Work-Life-Balance warnte 1 . Parteichef Friedrich Merz ergänzte, der Wohlstand sei mit einer Vier-Tage-Woche nicht zu halten2. Auch der Arbeitgeberpräsident forderte längere Wochenarbeitszeiten und sprach von einem Effizienzdefizit in Deutschland3. Weiter wird gefordert, dass auch Rentner*innen weiterarbeiten sollen, bei älteren Arbeitskräften weniger Kündigungsschutz gelten und Frauen von Teilzeit in Vollzeit wechseln sollen.

Begründet werden diese Forderungen mit mehreren Argumenten: Zum einen wird der Erhalt des gesellschaftlichen Wohlstands ins Feld geführt, zum anderen eine moralische Verantwortung der Bevölkerung betont. Zudem wird auf den demografischen Wandel verwiesen – etwa wenn Rentner*innen als zusätzliche Erwerbsressource ins Spiel gebracht werden4. Frauen in Teilzeit sollen möglichst in Vollzeit wechseln, um das Arbeitskräftepotenzial voll auszuschöpfen5. Auch die Generation Z steht unter Kritik – angeblich zu bequem, zu krank und zu unproduktiv – obwohl Studien belegen, dass ihre Erwerbsbeteiligung so hoch ist wie seit Jahrzehnten nicht6.

Die EFHiW kritisiert diese Debatte deutlich: Wohlhabende Politiker*innen und Wirtschaftsbosse sprechen von „wir“, meinen dann aber häufig nicht sich selbst, sondern marginalisierte Gruppen. „Denn während Menschen mit hohem Kapital auch ohne Erwerbstätigkeit von Vermögen leben können7, werden insbesondere Erwerbstätige mit geringen Einkommen, junge Menschen, Frauen und ältere Beschäftigte zur Mehrarbeit aufgerufen“, erläutert Birgit Reiche.

„Viele der öffentlichen Aussagen beruhen auf falschen oder verzerrten Annahmen“, klärt die Vorsitzende des Frauenverbandes weiter auf. Die EFHiW weist dabei v.a. auf sieben falsche Annahmen hin.

Es sei eine falsche Annahme: „Die Deutschen arbeiten zu wenig“: Tatsächlich wurden 2023 so viele Arbeitsstunden geleistet wie seit der Wiedervereinigung nicht, darunter 1,3 Milliarden Überstunden – rund die Hälfte davon unbezahlt8.

Ebenso falsch sei: „Teilzeitkräfte arbeiten weniger“. Dabei wird übersehen, dass insbesondere Frauen umfangreiche Care-Arbeit leisten. Diese ist zwar unbezahlt, aber essenziell für das Funktionieren der Gesellschaft. Rechnet man Erwerbs- und Care-Arbeit zusammen, liegt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit bei Erwachsenen bei 44,5 Stunden – davon über 25 Stunden ohne Entlohnung9.

„Junge Menschen sind arbeitsscheu ist ebenso falsch: Die Generation Z zeigt eine hohe Erwerbsbeteiligung und verändert lediglich ihre Prioritäten – etwa durch kürzere, aber häufigere Krankmeldungen zur Wahrung der psychischen Gesundheit10.

Weiterhin heißt es, dass die „Produktivität stagniert“. Tatsächlich ist die Produktivität seit Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen. Was stagniert, ist die Entlohnung dieser Leistung11.

Eine falsche Annahme ist ebenfalls „Ehrenamt ist kein Beitrag zur Arbeitsleistung“. Denn rund 30 Millionen Menschen engagieren sich freiwillig – allein in NRW werden dadurch jährlich 700 Millionen unbezahlte Arbeitsstunden geleistet, die gesellschaftlich extrem wertvoll sind12.

Studien belegen das Gegenteil der Annahme „Vier-Tage-Woche schadet der Wirtschaft“. Kürzere Wochen steigern oft sogar die Produktivität und die Zufriedenheit der Beschäftigten13.

„Wohlstand betrifft alle gleichermaßen“ ist ebenfalls eine verzerrte Annahme. Primär handelt es sich hierbei meist um den Wohlstand von privilegierten Gruppen, die Gewinne privatisieren und Risiken sozialisieren – auch in Krisenzeiten14.

Die EFHiW fordert eine ehrliche, differenzierte und solidarische Arbeitsdebatte: eine Debatte, die nicht länger die realen Arbeitsleistungen von Frauen und marginalisierten Gruppen unsichtbar macht, sondern unbezahlte, gesellschaftlich unverzichtbare Arbeit endlich anerkennt. „Wer ernsthaft Wohlstand sichern will, muss Sorgearbeit, Ehrenamt und soziale Verantwortung mitdenken“, stellt Birgit Reiche heraus. „ – nicht nur Erwerbszeiten verlängern.“ Angelika Waldheuer fügt hinzu: „Es ist an der Zeit, dass politische Verantwortungsträger*innen nicht nur laut fordern, sondern still zuhören – jenen, die längst mehr leisten, als sie je gefordert haben.“

1 tagesschau.de: »Wie fleißig müssen die Deutschen sein?« vom 18.05.2025 (besucht am 04.06.2025)

2 tagesspiegel.de: »Merz kritisiert Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance« vom 14.05.2025 (besucht am 04.06.2025)

3 zeit.de: »Arbeitgeberpräsident fordert längere Wochenarbeitszeit« vom 09.02.2025 (besucht am 04.06.2025)

4 merkur.de: »Rentner arbeiten laut Linnemann zu wenig« vom 01.06.2025 (besucht am 04.06.2025)
zeit.de: »Jens Südekum: ‘Bei steigender Lebenserwartung muss die Lebensarbeitszeit steigen’« (€) vom 02.06.2025 (besucht am 04.06.2025)

5 spiegel.de: »Wer ‘mehr Arbeit’ sagt, meint immer die anderen« (€) vom 14.05.2025 (besucht am 04.06.2025)

6 nationalgeographic.de: »Gen Z: Junge Leute arbeiten so viel wie lange nicht« vom 28.04.2025

7 jacobin.de: »Faul sind immer nur die Arbeiter« vom 02.05.2025 (besucht am 04.06.2025)

8 manager-magazin.de: »Beschäftigte in Deutschland leisten 1,3 Milliarden Überstunden« vom 09.05.2024 (besucht am 04.06.2025)
tagesschau.de: »Mehr als die Hälfte der Überstunden 2023 unbezahlt« vom 09.05.2024 (besucht am 04.06.2025)

9 mdr.de: »Frauen leisten jährlich 72 Milliarden Stunden unbezahlte Arbeit« vom 28.02.2024 (besucht am 04.06.2025)

10 nationalgeographic.de: »Gen Z: Junge Leute arbeiten so viel wie lange nicht« vom 28.04.2025 (besucht am 04.06.2025)

11 epi.de: Economic Policy Institute: »The Productivity-Pay Gap« vom 15.05.2025 (besucht am 04.06.2025)

13 wdr.de: »Studie zur Vier-Tage-Woche: Mehr Zufriedenheit, mehr Produktivität« vom 18.10.2024 (besucht am 04.06.2025

14 sueddeutsche.de: »Millionäre in der Krise: Wer hat, dem wird gegeben« vom 14.07.2022 (besucht am 04.06.2025)

 

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